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Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Titel: Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustave Flaubert
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Zukunft, sei ganz unbesorgt. Ich bin nicht frei, begreifst du, wenn ich weiß, dass die kleinste Verspätung dich so verstört.«
    Sie holte sich damit eine Art von Erlaubnis, bei ihren Eskapaden alle Hemmungen abzuwerfen. Und das tat sie auch ungeniert, großzügig. Wenn sie Lust bekam, Léon zu sehen, machte sie sich unter irgendeinem Vorwand auf den Weg, und da er sie an diesem Tag nicht erwartete, ging sie in seine Kanzlei.
    Er war überglücklich, die ersten Male; doch bald verhehlte er nicht länger die Wahrheit, nämlich: dass seinen Chef diese Störungen sehr verdrossen.
    »Ach was! komm schon«, sagte sie.
    Und er entwischte.
    Sie wollte, dass er sich ganz in Schwarz kleidete und ein Kinnbärtchen wachsen ließ, damit er aussah wie die Porträts aus der Zeit Ludwigs XIII. Sie wollte seine Wohnung kennenlernen, fand sie dürftig; er wurde schamrot, sie achtete nicht darauf, riet ihm dann, sich die gleichen Vorhänge zu kaufen wie ihre, und als er die Kosten entgegenhielt:
    »Soso! du hängst an deinen kleinen Écus!« sagte sie lachend.
    Jedesmal musste Léon ihr sein ganzes Leben seit dem letzten Rendezvous erzählen. Sie bat um Verse, Verse für sich allein, ein Liebesgedicht ihr zu Ehren; es gelang ihm nicht einmal, den Reim für den zweiten Vers zu finden, und zuletzt schrieb er ein Sonett ab, aus einem Keepsake.
    Er tat es weniger aus Eitelkeit als vielmehr in dem Wunsch, ihr zu gefallen. Er widersprach nie ihren Meinungen; er fügte sich in all ihre Vorlieben; er wurde ihre Mätresse, mehr jedenfalls als sie die seine. Sie sagte ihm zärtliche Worte mit Küssen, die seine Seele eroberten. Wo hatte sie nur diese Verderbtheit gelernt, die fast ätherisch war durch ihre Tiefe und Heimlichkeit?

    Anmerkungen

VI.

    Auf den Reisen, die er unternahm, um sie zu sehen, hatte Léon häufig beim Apotheker zu Abend gegessen und sich aus Höflichkeit verpflichtet gefühlt, ihn seinerseits einzuladen.
    »Sehr gern!« hatte Monsieur Homais geantwortet; »ich muss mich sowieso wieder ein bisschen austoben, denn ich verknöchre hier. Wir gehen ins Theater, ins Restaurant, wir hauen auf den Putz!«
    »Oh! lieber Freund!« murmelte zärtlich Madame Homais, erschreckt von den dunklen Gefahren, in die er sich stürzen wollte.
    »Ja, wie denn? meinst du nicht, dass ich meine Gesundheit zwischen den beständigen pharmazeutischen Dämpfen schon genug ruiniere! So sind sie nun einmal, die Frauen: eifersüchtig auf die Wissenschaft, und wollen einem auch noch die billigsten Zerstreuungen verbieten. Gleichviel, zählen Sie auf mich; demnächst erscheine ich in Rouen, und dann lassen wir zusammen die Zechinen springen.«
    Dem Pharmazeuten wäre ein solcher Ausdruck früher nicht über die Lippen gekommen; doch neuerdings gab er sich gern fidel und pariserisch und fand das äußerst geschmackvoll; wie Madame Bovary, seine Nachbarin, stellte er dem Kanzlisten neugierige Fragen über die Sitten in der Hauptstadt, er redete sogar Argot, um den Bürgern … zu imponieren, sagte Bude , Schuppen , Affe , Lackaffe , Breda-Street und Ich verdufte für: Ich gehe.
    An einem Donnerstag also traf Emma zu ihrer Überraschung in der Küche des Lion d’or Monsieur Homais in Reiseaufmachung, das heißt, mit einem alten Mantel bekleidet, den keiner an ihm kannte, in der einen Hand ein Koffer und in der anderen der Fußsack aus seinem Geschäft. Er hatte mit niemandem über sein Vorhaben gesprochen, aus Furcht, die Kundschaft durch seine Abwesenheit zu beunruhigen.
    Der Gedanke, all die Orte wiederzusehen, an denen er seine Jugend verbracht hatte, versetzte ihn wahrscheinlich in Erregung, denn auf dem gesamten Weg schwadronierte er in einem fort; und dann, gleich nach der Ankunft, sprang er flink aus dem Wagen und machte sich auf die Suche nach Léon; der Kanzlist wehrte sich vergeblich, Monsieur Homais schleppte ihn ins große Café de Normandie , das er hoheitsvoll betrat, ohne den Hut abzunehmen, denn er hielt es für extrem provinziell, in einem öffentlichen Lokal sein Haupt zu entblößen.
    Emma wartete eine Dreiviertelstunde auf Léon. Am Ende lief sie zu seiner Kanzlei, und versunken in allerlei Spekulationen, ihn der Gleichgültigkeit bezichtigend und sich selbst Schwäche vorwerfend, verbrachte sie den Nachmittag, ihre Stirn gegen die Fensterscheibe gepresst.
    Um zwei saßen sie einander immer noch bei Tisch gegenüber. Der große Saal war schon fast leer; das palmenförmige Ofenrohr wölbte seine vergoldeten Wedel zur weißen Decke; und

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