Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
Emma nur noch das stolpernde Klagen dieses armen Herzens, leise und undeutlich, wie der letzte Nachklang einer Symphonie, die verhallt.
»Bringt mir die Kleine«, sagte sie, leicht auf den Ellbogen gestützt.
»Es geht dir nicht schlechter, sag?« fragte Charles.
»Nein! nein!«
Die Kleine erschien auf dem Arm ihres Mädchens, in einem langen Nachthemd, unter dem ihre nackten Füße hervorschauten, ernst und fast traumversunken. Sie starrte verwundert in das Durcheinander des Zimmers und blinzelte, geblendet von den Lichtern, die auf den Möbeln flackerten. Das erinnerte sie gewiss an den Neujahrsmorgen oder an Mittfasten, wenn sie, früh aufgeweckt, bei Kerzenglanz zu ihrer Mutter ins Bett kam, wo es Geschenke gab, denn nun sagte sie:
»Wo ist es denn, Mama?«
Und da alle schwiegen:
»Ich seh aber nirgends mein Schühchen!«
Félicité hielt sie über das Bett, während sie immer noch zum Kamin schaute.
»Hat’s die Amme mitgenommen?« fragte sie.
Und bei diesem Namen, der ihr alle Ehebrüche und allen Jammer in die Erinnerung zurückrief, wandte Madame Bovary den Kopf, wie aus Ekel vor einem anderen, stärkeren Gift, das ihr in den Mund stieg. Berthe aber blieb auf dem Bett sitzen.
»Ei! Mama, was hast du für große Augen! was bist du blass! was du schwitzt! …«
Ihre Mutter betrachtete sie.
»Ich habe Angst!« sagte die Kleine zurückweichend.
Emma griff nach ihrer Hand und wollte sie küssen; sie wehrte sich.
»Es reicht! bringt sie weg!« rief Charles, der im Alkoven schluchzte.
Dann verschwanden die Symptome für einen Augenblick; sie wirkte weniger fahrig; und bei jedem belanglosen Wort, bei jedem etwas ruhigeren Atemzug ihrer Brust schöpfte er neue Hoffnung. Als endlich Canivet hereintrat, warf er sich ihm weinend in die Arme.
»Oh! Sie sind’s! danke! Sie sind gut! Es geht ihr schon besser. Da, schauen Sie nur …«
Der Kollege war keineswegs dieser Ansicht, und da er, nach eigener Aussage, nicht lange fackelte , verordnete er ein Brechmittel, um den Magen restlos zu entleeren.
Ziemlich rasch erbrach sie Blut. Ihre Lippen kniffen sich fester zusammen. Die Gliedmaßen waren verkrampft, der Leib übersät mit braunen Flecken, und ihr Puls zuckte unter den Fingern wie ein gespannter Draht, wie die Saite einer Harfe, kurz vorm Zerreißen.
Dann begann sie zu schreien, grässlich. Sie verwünschte das Gift, fluchte, flehte, es möge sich beeilen, und stieß mit ihren starren Armen alles zurück, was Charles, dem Tode näher als sie, ihr einzuflößen versuchte. Er stand da, sein Taschentuch auf die Lippen gepresst, röchelnd, weinend und von Schluchzern gewürgt, die ihn schüttelten bis in die Fersen hinein; Félicité rannte im Zimmer hin und her; Homais, regungslos, stieß tiefe Seufzer aus, und Monsieur Canivet, der zwar immer noch sein Selbstvertrauen zeigte, wurde langsam doch unsicher.
»Zum Teufel! … immerhin … der Magen ist leer, und sobald die Ursache verschwindet …«
»Muss auch die Wirkung verschwinden«, sagte Homais; »das ist klar.«
»Rettet sie doch!« rief Bovary.
Ohne auf den Apotheker zu achten, der noch die Hypothese riskierte: »Vielleicht ist es ja eine heilsame Krise«, wollte Canivet gerade Theriak verabreichen, da hörte man eine Peitsche knallen; alle Glasscheiben klirrten, und eine Post-Berline, vor der drei bis über die Ohren verdreckte Pferde galoppierten, was das Zeug hielt, kam an der Markthalle um die Ecke geprescht. Es war Doktor Larivière.
Das Erscheinen eines Gottes hätte keine größere Aufregung bewirkt. Bovary hob die Hände empor, Canivet hielt plötzlich inne, und Homais lüpfte seine griechische Mütze, noch bevor der Doktor hereintrat.
Er gehörte zu der großen, aus Bichats Schürze geschlüpften Chirurgenschule, zu jener heutzutage verschwundenen Generation philosophischer Praktiker, die ihrer Kunst mit fanatischer Liebe anhingen, sie voller Begeisterung und Scharfsinn ausübten! Alles zitterte in seinem Hospital, wenn er in Zorn geriet, und seine Schüler verehrten ihn so sehr, dass sie, kaum niedergelassen, ihn so weit wie möglich nachzuahmen suchten; darum fand man bei ihnen, überall in den umliegenden Städten, seinen langen wattierten Mantel aus Merinowolle und seinen weiten schwarzen Frack, dessen lose Ärmelaufschläge seine fleischigen Hände ein wenig verdeckten, sehr schöne Hände, die niemals in Handschuhen steckten, als könnten sie so das Elend rascher anpacken. Er verachtete Kreuze, Titel und Akademien, war
Weitere Kostenlose Bücher