Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
schließlich hatte er ihn selbst geröstet, selbst gemahlen, selbst gemischt.
» Saccharum , Herr Doktor«, sagte er, Zucker anbietend.
Dann rief er alle seine Kinder herunter, denn er war erpicht, die Meinung des Chirurgen über ihre Konstitution zu hören.
Endlich wollte Monsieur Larivière aufbrechen, da bat ihn Madame Homais um eine Untersuchung ihres Gatten. Er bekomme Blutandrang im Hirn, weil er jeden Abend nach dem Essen einschlafe.
»Oh! das Hirn macht ihm keine Probleme.«
Und leise lächelnd über diesen unbemerkt gebliebenen Scherz, öffnete der Doktor die Tür. Aber die Apotheke war zum Bersten voll; und es gelang ihm nur mit Müh und Not, Monsieur Tuvache abzuwimmeln, der fürchtete, seine Frau leide an einer Lungenentzündung, weil sie ständig in die Asche spuckte; dann Monsieur Binet, den manchmal Heißhunger plagte, und Madame Caron, die ein Kribbeln verspürte; Lheureux, der Schwindelanfälle hatte; Lestiboudois, der Rheumatismus hatte; Madame Lefrançois, die Sodbrennen hatte. Endlich stoben die drei Pferde davon, und man fand durchweg, er habe keine übermäßig verbindliche Art.
Die allgemeine Aufmerksamkeit wurde abgelenkt durch das Erscheinen von Monsieur Bournisien, der mit den Sterbesakramenten durch die Markthalle kam.
Homais, getreu seinen Grundsätzen, verglich die Priester mit Raben, die von Verwesungsgeruch herbeigelockt werden; der Anblick eines Geistlichen war ihm persönlich zuwider, denn er musste bei der Soutane ans Leichentuch denken, und er verabscheute das eine, weil ihm vor dem andern ein wenig grauste.
Dennoch kniff er nicht vor dem, was er seine Mission nannte, und ging wieder zu Bovary, in Begleitung von Monsieur Canivet, den Monsieur Larivière vor seiner Abfahrt eindringlich zu diesem Schritt ermahnt hatte; und ohne die Vorhaltungen seiner Frau hätte er seine beiden Söhne mitgenommen, um sie an starke Eindrücke zu gewöhnen, damit es ihnen eine Lehre sei, ein Exempel, ein feierliches Bild, das ihnen für allezeit im Gedächtnis blieb.
Das Zimmer war bei ihrem Eintritt erfüllt von düsterer Feierlichkeit. Auf dem mit einem weißen Tuch bedeckten Nähtisch lagen fünf oder sechs Wattebällchen in einem Silberteller, neben einem großen Kruzifix, zwischen zwei brennenden Leuchtern. Emma, das Kinn auf die Brust gesunken, hielt die Lider weit offen; und ihre armen Hände irrten über die Laken, mit der greulichen und zarten Bewegung von Sterbenden, die aussehen, als wollten sie schon das Grabtuch über sich ziehen. Bleich wie eine Statue und die Augen rot wie glühende Kohle, stand ihr Charles tränenlos am Fußende des Bettes gegenüber, während der Priester, auf einem Knie ruhend, leise Worte wisperte.
Sie drehte langsam den Kopf und schien von Freude erfasst, als sie plötzlich die violette Stola sah, vielleicht fand sie während einer ungewöhnlichen Befriedung die verlorene Wonne ihrer ersten mystischen Verzückungen wieder, und dazu noch Visionen von ewiger Seligkeit, die nun einsetzten.
Der Priester erhob sich und griff nach dem Kruzifix; da reckte sie den Hals wie jemand, der Durst hat, presste ihre Lippen auf den Leib des Gottmenschen und schenkte ihm mit all ihrer versiegenden Kraft den innigsten Liebeskuss, den sie jemals gegeben hatte. Anschließend betete er das Misereatur und das Indulgentiam , tauchte seinen rechten Daumen ins Öl und begann mit den Salbungen: zuerst auf die Augen, die so sehr gelechzt hatten nach aller irdischen Pracht; dann auf die Nasenflügel, gierig nach lauen Brisen und den Düften der Liebe; dann auf den Mund, der sich geöffnet hatte für die Lüge, der gestöhnt hatte vor Hoffart und geschrien in der Wollust; dann auf die Hände, die sich erfreuten an sanfter Berührung, und schließlich auf die Sohlen der Füße, so flink einst, wenn sie eilte, ihre Begierden zu stillen, und die jetzt niemals mehr laufen würden.
Der Pfarrer trocknete sich die Finger, warf die ölgetränkten Wattekrümel ins Feuer und setzte sich wieder zu der Sterbenden, um ihr zu sagen, dass sie nun ihre Leiden mit denen Jesu Christi vereinen und sich dem göttlichen Erbarmen anheimgeben müsse.
Am Ende dieser Ermahnungen versuchte er ihr eine geweihte Kerze in die Hand zu drücken, Symbol der himmlischen Herrlichkeit, von der sie bald umgeben sein werde. Emma war zu schwach, sie konnte die Finger nicht schließen, und ohne Monsieur Bournisien wäre die Kerze zu Boden gefallen.
Doch sie war nicht mehr so bleich, und auf ihrem Gesicht lag ein
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