Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
Kissen zu greifen.
»Trag’s fort!« sagte sie lebhaft; »wirf’s weg!«
Er stellte Fragen; sie gab keine Antwort. Sie rührte sich nicht, aus Furcht, sich bei der kleinsten Bewegung zu erbrechen. Aber sie spürte, wie eisige Kälte ihr von den Füßen hinaufkroch bis ins Herz.
»Ah! jetzt fängt es an!« flüsterte sie.
»Was sagst du?«
Sie rollte den Kopf sachte hin und her, voll Angst, und riss dabei ständig den Mund auf, als liege ihr etwas Schweres auf der Zunge. Um acht musste sie sich wieder erbrechen.
Charles bemerkte am Boden der Schüssel eine Art weißen Grieß, der sich an den Porzellanwänden festsetzte.
»Seltsam! merkwürdig!« wiederholte er.
Sie aber sagte mit fester Stimme:
»Nein, du irrst dich!«
Da strich er ihr behutsam und fast liebkosend mit der Hand über den Magen. Ihr entfuhr ein gellender Schrei. Er wich erschrocken zurück.
Dann begann sie zu wimmern, im Anfang nur schwach. Heftiges Zittern durchbebte ihre Schultern, und sie wurde bleicher als das Laken, in das sich ihre steifen Finger krallten. Ihr unregelmäßiger Puls war kaum noch zu fühlen.
Schweißtropfen perlten auf dem bläulichen Gesicht, das wie erstarrt wirkte im Brodem eines metallischen Hauchs. Ihre Zähne klapperten, ihre geweiteten Augen blickten schweifend umher, und auf alle Fragen antwortete sie nur mit Kopfschütteln; zwei-, dreimal lächelte sie sogar. Allmählich wurde das Stöhnen lauter. Ein dumpfes Aufheulen entrang sich ihr; sie behauptete, es gehe ihr besser und sie wolle ein wenig später aufstehen. Doch sie wurde von Krämpfen gepackt; sie schrie:
»O mein Gott! wie schrecklich!«
Er warf sich vorm Bett auf die Knie.
»Sprich! was hast du gegessen? Antworte, um Himmels willen!«
Und er blickte auf sie mit einer Zärtlichkeit in den Augen, die ihr nie zuvor begegnet war.
»Schon gut, da …, da!« sagte sie mit versagender Stimme.
Er stürzte zum Sekretär, erbrach das Siegel und las mit lauter Stimme: Niemanden trifft eine Schuld … Er hielt inne, fuhr sich mit der Hand über die Augen und las noch einmal.
»Was! … Hilfe! Hilfe!«
Und er konnte nur das eine Wort wiederholen: »Vergiftet! vergiftet!« Félicité rannte zu Homais, der es auf den Platz hinausrief; Madame Lefrançois hörte es im Lion d’or ; der eine oder andere stand auf, um es seinem Nachbarn zu sagen, und die ganze Nacht war das Dorf in Aufruhr.
Wie von Sinnen, stammelnd, dem Umfallen nahe, lief Charles durchs Zimmer. Er stieß gegen die Möbel, raufte sich die Haare, und der Apotheker hätte niemals geglaubt, je etwas so Grauenvolles zu sehen.
Er ging wieder nach Hause und schrieb an Monsieur Canivet und Doktor Larivière. Er verlor den Kopf; er begann über fünfzehn Entwürfe. Hippolyte machte sich auf den Weg nach Neufchâtel, und Justin hetzte Bovarys Pferd, bis er es auf der Anhöhe von Bois-Guillaume zurücklassen musste, kreuzlahm und fast krepiert.
Charles wollte in seinem medizinischen Lexikon nachschlagen; er sah nichts, die Zeilen tanzten.
»Immer mit der Ruhe!« sagte der Pharmazeut. »Man braucht nur ein starkes Gegenmittel zu verabreichen. Was ist es für ein Gift?«
Charles zeigte den Brief. Es war Arsen.
»Nun«, meinte Homais, »es müsste eine Analyse gemacht werden.«
Denn er wusste, dass bei jeder Vergiftung eine Analyse gemacht werden muss; und der andere, der nichts begriff, erwiderte:
»Ah! los! los! retten Sie sie …«
Dann, wieder bei ihr, sank er auf den Teppich, drückte den Kopf auf den Rand ihres Lagers und schluchzte.
»Hör auf zu weinen!« sagte sie. »Bald quäle ich dich nicht mehr!«
»Warum? Was hat dich dazu getrieben?«
Sie antwortete:
»Es musste sein, mein Freund.«
»Warst du nicht glücklich? Ist es meine Schuld? Ich habe doch alles getan, was ich konnte!«
»Ja …, das stimmt … du, du bist gut!«
Und sie fuhr ihm mit der Hand übers Haar, langsam. Das wohlige Gefühl steigerte seine Traurigkeit; es spürte, wie sein ganzes Wesen zusammenbrach vor Verzweiflung bei dem Gedanken, dass er sie gerade jetzt verlieren sollte, da sie für ihn mehr Liebe bezeugte als je zuvor; und ihm fiel nichts ein, er wusste nichts, wagte nichts, die Dringlichkeit einer sofortigen Entscheidung raubte ihm vollends die Fassung.
Sie hatte es hinter sich, dachte sie, all die Verrätereien, Niedrigkeiten, unzähligen Begierden, von denen sie gepeinigt wurde. Jetzt hasste sie niemanden; dämmrige Wirrnis breitete sich über ihre Gedanken, und von allen Geräuschen der Erde hörte
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