Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
Wohlgemerkt, hätte er diese Treue nur auf die Szenen der Entwürdigung angewandt, dann könnten Sie mit vollem Recht sagen: Der Autor hat sich darin gefallen, die Entwürdigung mit dieser Kraft der Beschreibung zu malen, die ihm eigen ist. Von der ersten bis zur letzten Seite seines Buches beschäftigt er sich ohne irgendeinen Vorbehalt mit allen Dingen in Emmas Leben, mit ihrer Kindheit im väterlichen Haus, mit ihrer Erziehung im Kloster, er lässt nichts aus. Wer jedoch wie ich von Anfang bis Ende gelesen hat, wird sagen – eine beachtliche Tatsache, für die Sie ihm dankbar sein werden, die nicht nur Freispruch für ihn bedeuten wird, sondern ihn vor jeder Art von Verfolgung hätte bewahren müssen – , dass Monsieur Flaubert, wenn er zu den schwierigen Teilen kommt, eben zur Entwürdigung, anstatt wie einige klassische Autoren zu verfahren, welche die Staatsanwaltschaft gut kennt, welche sie jedoch während der Abfassung ihres Plädoyers vergessen hat und von denen ich ein paar Stellen mitgebracht habe, nicht, um sie Ihnen vorzulesen, sondern damit Sie sie im Beratungszimmer durchsehen (ich werde anschließend einige Zeilen zitieren), anstatt wie unsere großen klassischen Autoren zu verfahren, unsere großen Meister, die, wenn sie zu Szenen der Vereinigung der Sinne bei Mann und Frau kamen, nicht versäumten, alles zu beschreiben, dass Monsieur Flaubert sich mit einem Wort begnügt. Hier verschwindet seine gesamte Beschreibungskraft, denn seine Gedanken sind keusch, denn da, wo er auf seine Art und mit dem ganzen Zauber des Stils schreiben könnte, da spürt er, dass es Dinge gibt, die nicht angesprochen, nicht beschrieben werden können. Die Staatsanwaltschaft findet, er habe immer noch zuviel gesagt. Wenn ich ihr Männer zeigen werde, die, bei großen philosophischen Werken, sich in der Beschreibung solcher Dinge gefallen haben, und wenn ich den Mann gegenüberstellen werde, der die Kunst des Beschreibens in so hohem Maße besitzt und der, weit davon entfernt, sie zu gebrauchen, innehält und verzichtet, dann werde ich wohl Rechenschaft verlangen dürfen von der Anklage, die vorliegt.
Gleichwohl, meine Herren, so wie er uns gern die heitere Wiege beschreibt, wo sich Emmas Kindheit abspielt, mit ihrem Laubwerk, mit ihren kleinen rosafarbenen oder weißen Blumen, die eben erblüht sind, und ihren duftenden Pfaden; – so, wenn sie diese verlassen hat, wenn sie auf anderen Wegen geht, auf Wegen, wo sie Schlamm findet, wenn sie dort ihre Füße beschmutzt, wenn die Flecken sogar an ihr hochspritzen, soll er es nicht sagen dürfen! Aber das würde heißen, das Buch, und ich gehe noch weiter, das moralische Element vollkommen zu zerstören, unter dem Vorwand, es zu verteidigen, denn, wenn die Schuld nicht gezeigt werden darf, wenn sie nicht benannt werden darf, wenn in einem Gemälde des wirklichen Lebens, das zum Ziel hat, durch die Gedanken die Gefahr, den Fehltritt, die Sühne zu zeigen, wenn Sie verhindern wollen, das alles zu malen, dann rauben Sie dem Buch selbstverständlich seine ganze Schlussfolgerung.
Dieses Buch ist für meinen Mandanten nicht Gegenstand einer Zerstreuung von ein paar Stunden gewesen, es stellt zwei oder drei Jahre unablässiger Studien dar. Und ich will Ihnen jetzt noch etwas mehr sagen: Monsieur Flaubert, der nach so vielen Jahren der Arbeit, so vielen Studien, so vielen Reisen, so vielen Notizen, die er bei gelesenen Autoren zusammengetragen hat – Sie werden sehen, mein Gott! aus welchen Quellen er geschöpft hat, denn etwas Wunderliches wird es übernehmen, ihn zu rechtfertigen – , Sie werden ihn sehen, ihn, der in laszive Farben getaucht ist, ganz durchdrungen von Bossuet und von Massillon. Wenn wir diese Autoren studieren, werden wir ihn gleich wiederfinden, beim Versuch, nicht sie zu plagiieren, sondern in seinen Beschreibungen die von ihnen verwendeten Gedanken und Farben wiederzugeben. Wenn nach all dieser mit so viel Liebe getanen Arbeit, wenn sein Werk ein Ziel hat, glauben Sie, dass er sich dann voller Selbstvertrauen und trotz so vieler Studien und Grübeleien sofort in die Arena stürzen wollte! Wahrscheinlich hätte er es gemacht, wenn er in der Welt ein Unbekannter gewesen wäre, wenn sein Name ihm ganz allein gehört hätte, wenn er geglaubt hätte, über ihn verfügen und ihn ausliefern zu können, wie es ihm beliebt; aber ich wiederhole, er gehört zu jenen, bei denen Adel verpflichtet: er heißt Flaubert, er ist der zweite Sohn von Monsieur Flaubert, er
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