Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
wir uns mit großer Mühe beschafft haben. Hier also ihr erster Teil, der keine einzige Korrektur aufweist; ein Wort ist im zweiten korrigiert worden:
»›Wohin fahren wir?‹ – ›Wohin Sie wollen!‹ sagte Léon und schubste Emma in die Droschke. Die Vorhänge schlossen sich, und die schwere Maschinerie setzte sich in Gang.
Sie holperte durch die Rue Grand-Pont, überquerte die Place des Arts, den Quai Napoléon, den Pont-Neuf und hielt abrupt vor der Statue des Pierre Corneille.
›Weiter!‹ sagte eine Stimme aus dem Inneren.
Die Droschke ratterte wieder los, brauste vom Carrefour Lafayette die abschüssige Straße hinab und landete in gestrecktem Galopp vor der Eisenbahnstation.
›Nein, geradeaus!‹ rief dieselbe Stimme.
Der Fiaker steuerte aus der Einfriedung und trabte, auf dem Cours angelangt, gemächlich zwischen hohen Ulmen. Der Kutscher wischte sich die Stirn, klemmte den Lederhut zwischen die Beine und dirigierte die Droschke aus den Seitenalleen, zum Wasser hinunter, bis an die Grasflächen.
Sie folgte dem Flussufer auf dem schotterbestreuten Treidelpfad und fuhr lange so weiter in Richtung Oyssel, bis hinter die Inseln.
Plötzlich aber stürmte sie drauflos, durch Quatremares, Sotteville, die Grande-Chaussée, die Rue d’Elbeuf, und machte ihren dritten Halt vor dem Jardin des Plantes.
›Vorwärts, vorwärts!‹ schrie nun die Stimme viel zorniger.
Und sogleich ging es weiter, und sie rumpelte durch Saint-Sever, über den Quai des Curandiers, über den Quai aux Meules, noch einmal über die Brücke, über die Place du Champ-de-Mars und vorbei hinter den Gärten des Hospitals, wo schwarzberockte Greise in der Sonne spazieren, auf einer von grünem Efeu umrankten Terrasse. Sie rollte den Boulevard Bouvreuil hinauf, durchwanderte den Boulevard Cauchoise, schließlich den ganzen Mont-Riboudet bis zur Anhöhe von Deville.
Sie machte kehrt; und jetzt stromerte sie, ohne Plan, ohne Ziel, auf gut Glück durch die Gegend. Man erblickte sie in Saint-Paul, in Lescure, in Mont Gargan, in La Rouge-Mare und auf der Place du Gaillardbois; in der Rue Maladrerie, in der Rue Dinanderie, vor Saint-Romain, Saint-Vivien, Saint-Maclou, Saint-Nicaise – vor dem Zollamt – an der Basse-Vieille-Tour, in Les Trois-Pipes und am Cimetière Monumental! Von Zeit zu Zeit warf der Kutscher auf seinem Bock verzweifelte Blicke nach den Wirtshäusern. Er begriff nicht, welche Bewegungsgier diese zwei Menschen dazu trieb, nicht mehr anhalten zu wollen. Es versuchte es ab und zu, sogleich aber hörte er hinter sich wütende Rufe. Also peitschte er umso kräftiger seine zwei schweißnassen Rösser, scherte sich um kein Gerüttel, rammte gegen dieses und jenes, abgestumpft, mutlos und fast schon heulend vor Durst, Erschöpfung und Trübsinn.
Und am Hafen, zwischen Lastkarren und Fässern, und auf den Straßen, neben den Prellsteinen, glotzten die Bürger aus verdutzten Augen angesichts dieser in der Provinz so ungewöhnlichen Sache: eine Droschke mit zugezogenen Vorhängen, die in einem fort wieder auftauchte, verschlossener als ein Grab und schaukelnd wie ein Schiff.
Einmal, im hellen Tageslicht, auf freier Flur, als die Sonne am heißesten auf die alten versilberten Laternen brannte, erschien eine bloße Hand unter den kleinen gelben Leinwandgardinen und warf Papierschnipsel heraus, die im Winde flatterten und ein Stück weiter niedersanken wie weiße Falter auf einem roten Kleefeld in voller Blüte.
Dann, gegen sechs, hielt die Droschke in einer Gasse des Beauvoisine-Viertels, und ihr entstieg eine Frau, die mit heruntergelassenem Schleier fortging, ohne den Kopf zu wenden.
Als sie den Gasthof erreichte, war Madame Bovary überrascht, den Postwagen nicht zu sehen. Hivert hatte dreiundfünfzig Minuten gewartet und war schließlich losgefahren.
Nichts freilich zwang sie zur Abreise; doch sie hatte ihr Wort gegeben, sie werde noch am selben Abend heimkommen. Außerdem wartete Charles; und in ihrem Herzen spürte sie bereits jene feige Gefügigkeit, die so vielen Frauen Sühne ist und zugleich Preis für den Ehebruch.«
Monsieur Flaubert macht mich darauf aufmerksam, dass die Staatsanwaltschaft ihm den letzten Satz vorgeworfen hat.
DER HERR STAATSANWALT: Nein, ich habe auf ihn hingewiesen.
RECHTSANWALT SENARD: Sicher ist, wenn es einen Vorwurf gäbe, würde er angesichts dieser Worte in sich zusammenfallen: »Sühne und zugleich Preis für den Ehebruch«. Im übrigen könnte das nur Anlass zu einem Vorwurf sein,
Weitere Kostenlose Bücher