Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
der ebenso begründet ist wie die anderen; denn in allem, was Sie vorgeworfen haben, ist nichts, was sich ernsthaft aufrechterhalten lässt.
Nun, meine Herren, da diese Art von phantastischer Fahrt der Redaktion der Revue missfallen hat, wurde sie gestrichen. Das war übertriebene Zurückhaltung von seiten der Revue ; und ganz gewiss konnte übertriebene Zurückhaltung doch nicht Anlass zu einem Prozess geben; Sie werden freilich sehen, wie sie Anlass zu dem Prozess gab. Was man nicht sieht, was gestrichen ist, erscheint so als etwas sehr Seltsames. Man hat vieles vermutet, was es nicht gab, und das haben Sie durch die Lektüre der ursprünglichen Passage gesehen. Mein Gott, wissen Sie, was man vermutet hat? Dass es in der gestrichenen Passage wahrscheinlich etwas gibt, ähnlich dem, was Sie die Güte haben werden in einem der wundervollsten Romane aus der Feder eines ehrbaren Mitglieds der Académie française nachzulesen, nämlich von Monsieur Mérimée.
Monsieur Mérimée erzählt in einem Roman mit dem Titel Das zwiefache Verkennen eine Szene, die in einer Postkutsche spielt. Nicht der Aufenthaltsort des Wagens ist von Bedeutung, sondern, wie hier, das, was in seinem Inneren vor sich geht. Ich will die Verhandlung nicht übermäßig in die Länge ziehen, ich werde das Buch an die Staatsanwaltschaft und das Gericht weitergeben. Hätten wir nur die Hälfte oder ein Viertel von dem geschrieben, was Monsieur Mérimée geschrieben hat, wäre ich in einiger Verlegenheit bei der Aufgabe, die mir zufällt, oder vielmehr, ich würde sie abändern. Anstatt zu sagen, was ich gesagt habe, was ich behaupte, dass Monsieur Flaubert ein gutes Buch geschrieben hat, ein ehrenwertes, nützliches, moralisches Buch, würde ich sagen: die Literatur hat ihre Rechte; Monsieur Mérimée hat ein sehr bemerkenswertes literarisches Werk verfasst, und man darf sich in den Einzelheiten nicht so heikel zeigen, wenn das Ganze untadelig ist. Dabei würde ich es bewenden lassen, ich würde freisprechen, und Sie würden freisprechen. Ach! mein Gott! ein Autor kann bei so einem Stoff doch nicht durch Auslassung sündigen. Und außerdem bekommen Sie noch die Einzelheiten dessen, was im Fiaker geschah. Da sich nun aber mein Mandant damit begnügt hatte, eine Fahrt zu beschreiben und das Innere nur gezeigt wurde durch: »eine bloße Hand erschien unter den kleinen gelben Leinwandgardinen und warf Papierschnipsel heraus, die im Winde flatterten und ein Stück weiter niedersanken wie weiße Falter auf einem roten Kleefeld in voller Blüte«, da sich mein Mandant damit begnügt hatte, wusste niemand etwas und alle vermuteten – gerade wegen der Streichung – , dass er mindestens genausoviel gesagt hatte wie das Mitglied der Académie française. Sie haben gesehen, dass dem nicht so war.
Nun ja! diese unglückselige Streichung, das ist der Prozess, das heißt, in den Büros, die mit gutem Grund beauftragt sind, alle Schriften zu überwachen, welche die öffentliche Moral verletzen können, als man diese Kürzung dort sah, wurde man hellhörig. Ich muss es gestehen, und die Herren von der Revue de Paris mögen mir gestatten, das zu sagen, sie haben die Schere zwei Wörter zu spät angesetzt; sie hätten den Schnitt tun müssen, bevor man in den Fiaker stieg; danach war er überflüssig. Die Kürzung war sehr unglücklich; doch wenn Sie diese kleine Schuld auf sich geladen haben, meine Herren von der Revue , heute leisten Sie gewiss dafür Sühne.
In den Büros hat man gesagt: Aufgepasst, was jetzt noch folgt; als die folgende Nummer kam, ist man gegen die Silben in den Krieg gezogen. Die Leute in den Büros müssen nicht alles lesen; und als sie sahen, dass man geschrieben hatte, eine Frau habe alle ihre Kleider ausgezogen, sind sie erschrocken, ohne weiterzuforschen. Es ist richtig, dass sich Monsieur Flaubert im Unterschied zu unseren großen Meistern nicht die Mühe gemacht hat, den Alabaster ihrer bloßen Arme, ihres Busens usw. zu beschreiben. Er hat nicht gesagt wie ein Dichter, den wir lieben:
Je vis de ses beaux flancs l’albâtre ardent et pur,
Lis, ébène, corail, roses, veines d’azur,
Telle enfin qu’autrefois tu me l’avais montrée,
De sa nudité seule embellie et parée,
Quand vos nuits s’envolaient, quand le mol oreiller
La vit sous tes baisers dormir et s’éveiller .
Er hat nichts gesagt, was vergleichbar wäre mit dem, was André Chénier gesagt hat. Doch immerhin hat er gesagt: »Sie ergab sich … Sie warf alle Hüllen
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