Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
zu Boden.«
Sie ergab sich! Na und! Ist denn jede Beschreibung verboten? Doch wenn man Anschuldigungen erhebt, sollte man alles lesen, und der Herr Staatsanwalt hat nicht alles gelesen. Die von ihm inkriminierte Stelle hört nicht da auf, wo er aufgehört hat; es folgt sogleich ein Korrektiv:
»Und dennoch war auf dieser mit kalten Tropfen bedeckten Stirn, auf diesen stammelnden Lippen, in diesen verstörten Augen, in der Umschlingung dieser Arme etwas Radikales, Irres, Trostloses, und Léon hatte das Gefühl, es dränge sich unmerklich zwischen sie, als etwas Trennendes.«
In den Büros hat man das nicht gelesen. Der Herr Staatsanwalt hat darauf vorhin nicht geachtet. Er hat nur das gesehen: »Dann warf sie mit einem Ruck alle Hüllen zu Boden«, und er hat gerufen: Verstoß gegen die öffentliche Moral! Wirklich, es ist allzu billig, mit einer solchen Methode anzuklagen. Gott bewahre die Verfasser von Wörterbüchern davor, dem Herrn Staatsanwalt in die Hände zu fallen! Wer würde einer Verurteilung entgehen, wenn man mit Ausschnitten, nicht von Sätzen, sondern von Wörtern, auf den Gedanken verfiele, eine Liste aller Wörter anzulegen, welche die Moral oder die Religion verletzen könnten?
Der erste Gedanke meines Mandanten, welcher bedauerlicherweise auf Widerstand gestoßen ist, war folgender: »Wir können nur eines tun: sofort drucken, nicht mit Kürzungen, sondern vollständig, das ganze Werk, so, wie es meine Hände verlassen hat, einschließlich der Fiakerszene.« Ich war vollkommen seiner Meinung, die beste Verteidigung meines Mandanten war der komplette Druck des Werkes samt Hinweis auf einige Punkte, denen das Gericht, auf unsere Bitte hin, seine ganz besondere Aufmerksamkeit hätte schenken sollen. Ich selbst hatte dieser Schrift ihren Titel gegeben: Memorandum des Herrn Gustave Flaubert betreffs der gegen ihn erhobenen Anklage eines Verstoßes gegen die religiöse Moral . Ich hatte eigenhändig geschrieben: Strafgericht, sechste Kammer , unter Nennung von Präsident und Staatsanwalt. Es gab ein Vorwort, in dem zu lesen war: »Ich werde angeklagt mit Zeilen, die meinem Buch hier und dort entnommen sind; verteidigen kann ich mich nur mit meinem Buch.« Von Richtern die Lektüre eines ganzen Romans zu verlangen, das ist viel verlangt, doch wir stehen vor Richtern, die die Wahrheit lieben, die sie wollen; die, um sie herauszufinden, keine Mühe scheuen werden; wir stehen vor Richtern, die Gerechtigkeit wollen, die sie mit aller Entschlossenheit wollen und die ohne das geringste Zögern alles lesen werden, worum wir sie inständig bitten. Ich hatte zu Monsieur Flaubert gesagt: »Geben Sie das sofort in Druck und setzen Sie darunter meinen Namen neben den Ihren: SENARD , Anwalt .« Man hatte mit dem Druck begonnen; die Meldung war gemacht für 100 Exemplare, die wir anfertigen lassen wollten; der Druck ging sehr schnell voran, Tag und Nacht wurde gearbeitet, als uns das Verbot erreichte, den Druck fortzusetzen, und zwar nicht eines Buches, sondern eines Memorandums, in dem sich das inkriminierte Buch, versehen mit erklärenden Anmerkungen, befand! Wir haben Einspruch erhoben bei der Staatsanwaltschaft, die uns gesagt hat, das Verbot sei unumstößlich, es könne nicht aufgehoben werden!
Nun gut! Wir haben das Buch nicht mit unseren Anmerkungen und unseren Beobachtungen gedruckt, doch falls Ihre erste Lektüre, meine Herren, irgendeinen Zweifel hinterlassen hat, dann flehe ich Sie an, lesen Sie ein zweites Mal. Sie lieben, Sie wollen die Wahrheit; Sie können nicht zu denjenigen gehören, die, wenn man ihnen zwei Zeilen von der Schrift eines Mannes vorlegt, sicher sind, dass sie ihn unter allen Umständen hängen. Sie wollen nicht, dass über einen Mann aufgrund von mehr oder weniger geschickt verfertigten Ausschnitten geurteilt wird. Das wollen Sie nicht; Sie wollen uns nicht der üblichen Verteidigungsmittel berauben. Nun gut! Sie haben das Buch, und obwohl es so weniger bequem ist als das, was wir machen wollten, werden Sie die Unterscheidungen, Beobachtungen, Vergleiche selber anstellen, weil Sie die Wahrheit wollen und weil die Wahrheit die Grundlage Ihres Urteils bilden muss, und die Wahrheit wird aus der ernsthaften Prüfung des Buches hervorgehen.
Dabei kann ich es allerdings nicht bewenden lassen. Die Staatsanwaltschaft greift das Buch an, ich muss das Buch selbst hernehmen, um es zu verteidigen, muss die Zitate vervollständigen, die gemacht wurden, und für jede inkriminierte Passage die
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