Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
erfüllen könnte, was Sie in der Zeile davor sehen, natürlich sind einem dann irgendwie die Gedanken ein wenig verdorben worden. Und ich frage Sie jetzt, ob ich Ihre Stelle erörtern muss! Ich mache weiter:
»Abends, vor dem Gebet, wurde im Arbeitssaal aus frommen Büchern vorgelesen. Das konnte unter der Woche die Zusammenfassung einer biblischen Geschichte sein oder die Reden des Abbé Frayssinous, und sonntags Stellen aus dem Geist des Christentums , zur Erholung. Wie lauschte sie die ersten Male dem klangvollen Lamento romantischer Melancholie, das sich überall wiederholt, auf der Welt und in der Ewigkeit! Hätte sie ihre Kindheit im Hinterzimmer eines Ladens in irgendeinem Krämerviertel verbracht, dann wäre sie vielleicht anfällig gewesen für die lyrischen Exzesse der Natur, die im allgemeinen nur über die Verdolmetschung der Schriftsteller zu uns dringen. Doch ihr war das Landleben nur allzu vertraut; sie kannte das Geblök der Herden, die Milch, die Pflüge. An stille Szenerien gewöhnt, interessierten sie im Gegenteil die bewegten. Sie liebte das Meer nur wegen der Stürme und das Grün einzig und allein, wenn es schütter spross zwischen Ruinen. Sie musste aus den Dingen eine Art von persönlichem Gewinn ziehen können; und sie verwarf als unnütz alles, was nicht den unmittelbaren Bedürfnissen ihres Herzens diente, – denn sie war eher sentimental als künstlerisch veranlagt und suchte Gefühle, nicht Landschaften.«
Sie werden gleich sehen, mit welch behutsamer Vorsicht der Autor die fromme alte Jungfer einführt und wie sich, um die Religion zu lehren, ein neues Element ins Kloster einschleicht, die Einführung des Romans, den eine Fremde mitbringt. Vergessen Sie das niemals, wenn es später darum geht, die religiöse Moral zu bewerten.
»Es gab im Kloster eine alte Jungfer, die jeden Monat für acht Tage kam und beim Ausbessern der Wäsche half. Vom Erzbischof protegiert, weil sie einer großen, unter der Revolution zugrunde gerichteten Adelsfamilie angehörte, aß sie im Refektorium am Tisch der Schwestern und hielt nach der Mahlzeit mit ihnen ein Schwätzchen, bevor sie wieder an ihre Näherei ging. Oft stahlen sich die Zöglinge aus dem Arbeitssaal, um sie zu besuchen. Sie konnte galante Lieder des vorigen Jahrhunderts auswendig und sang halblaut, während ihre Nadel eifrig zustach. Sie erzählte Geschichten, wusste Neuigkeiten zu berichten, machte Besorgungen in der Stadt und lieh den Großen heimlich Romane, von denen sich immer irgendeiner in ihrer Schürzentasche fand und die das gute Fräulein selber in den Arbeitspausen kapitelweise verschlang.«
Das ist nicht nur buchstäblich wundervoll: der Freispruch kann einem Mann nicht verwehrt werden, der diese herrlichen Passagen schreibt, um alle auf die Gefahren einer solchen Erziehung hinzuweisen, um der jungen Frau die Klippen des Lebens zu zeigen, auf das sie zugeht. Weiter:
»Da gab’s nur Liebschaften, Liebhaber, Liebhaberinnen, verfolgte Damen, die in einsamen Lusthäuschen ohnmächtig, Kutscher, die auf allen Poststationen ermordet, Pferde, die auf jeder Seite zuschanden geritten wurden, Waldesdunkel, Herzensqual, Schwüre, Schluchzer, Tränen und Küsse, Nachen im Mondenschein, Nachtigallen im Gehölz, Herren so tapfer wie Löwen, so sanft wie Lämmer, so tugendhaft wie keiner ist, stets wohlgekleidet, und deren Zähren fließen wie aus Krügen. Sechs Monate lang machte sich die fünfzehnjährige Emma die Hände schmutzig am Staub der alten Lesekabinette. Mit Walter Scott entflammte sie dann für Historisches, träumte von Truhen, Wachstuben und Minnesängern. Gern hätte sie auf einem alten Rittergut gelebt wie jene Burgherrinnen mit den langen Korsagen, die ihre Tage unter dem Dreipass der Spitzbogenfenster verbrachten, den Ellbogen aufs Gemäuer, das Kinn in die Hand gestützt, und spähten, ob aus weiter Ferne ein Reiter mit weißer Feder herangaloppierte auf schwarzem Ross. In jener Zeit verehrte sie Maria Stuart und huldigte voll Überschwang berühmten oder leidgeprüften Frauen. Jeanne d’Arc, Héloïse, Agnès Sorel, die Belle Ferronnière und Clémence Isaure leuchteten für sie wie Kometen in der finsteren Unermesslichkeit der Geschichte, wo noch hier und da, jedoch verlorener im Dunkel und ohne jede Verbindung untereinander, Ludwig der Heilige mit seiner Eiche und der sterbende Bayard hervorstachen, ein paar Grausamkeiten Ludwigs XI., ein bisschen Bartholomäusnacht, der Helmbusch des Béarners und immer wieder die
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