Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
aufgerichtet in der ewigen Finsternis wie ein Schreckensbild.
Es pfiff der Zephyr geschwinde
und lüpfte das Röcklein dem Kinde!
Ein Krampf warf sie auf die Matratze. Alle traten heran. Sie lebte nicht mehr.«
Sehen Sie, meine Herren, im Augenblick des Todes, die Erinnerung an ihre Schuld, die Reue, mit allem, was daran quälend und grauenvoll ist. Das ist nicht der Einfall eines Künstlers, der bloß einen Gegensatz herstellen will ohne Nützlichkeit, ohne Moral, es ist der Blinde, den sie auf der Straße dieses grauenvolle Lied singen hört, das er auch sang, wenn sie ganz verschwitzt, ganz scheußlich heimkehrte von den ehebrecherischen Rendezvous; den Blinden sah sie bei jedem dieser Rendezvous: dieser Blinde verfolgte sie mit seinem Lied, mit seiner Aufdringlichkeit; er ist es, der im Augenblick des göttlichen Erbarmens die menschliche Wut verkörpert, welche sie in der Todesstunde verfolgt! Und das wird als Verstoß gegen die öffentliche Moral bezeichnet! Ich kann nur sagen, das ist im Gegenteil eine Huldigung an die öffentliche Moral, es gibt nichts Moralischeres als das; ich kann nur sagen, in diesem Buch wird das Laster der Erziehung vorgeführt, aus dem Wahren genommen, aus dem lebendigen Fleisch unserer Gesellschaft, unentwegt stellt uns der Autor die Frage: »Hast du alles getan, was für die Erziehung deiner Töchter nötig war? Ist die Religion, die du sie gelehrt hast, diejenige, die ihnen Halt geben kann in den Stürmen des Lebens, oder ist sie nur eine Ansammlung fleischlichen Aberglaubens, der keine Stütze ist, wenn das Unwetter tobt? Hast du ihnen beigebracht, dass das Leben keine Verwirklichung phantastischer Träume ist, sondern etwas Nüchternes, mit dem man sich abfinden muss? Hast du ihnen das beigebracht? Hast du alles getan, was für ihr Glück nötig war? Hast du ihnen gesagt: Arme Kinder, abseits des Weges, den ich euch weise, in den Vergnügungen, denen ihr nachjagt, da erwartet euch nur Ekel, Vernachlässigung des Heims, Unruhe, Durcheinander, Verschwendung, Krämpfe, Pfändung …« Und Sie sehen ja, ob in dem Gemälde irgendetwas fehlt, der Gerichtsvollzieher ist da, auch der Jude ist da, der verkauft hat, um die Launen dieser Frau zu befriedigen, die Möbel werden gepfändet, die Versteigerung soll stattfinden; und der Ehemann weiß von nichts. Der Unglücklichen bleibt nur mehr zu sterben!
Aber, sagt die Staatsanwaltschaft, ihr Tod ist frei gewählt, diese Frau stirbt, weil ihr danach zumute ist.
Konnte sie denn leben? War sie nicht verdammt? Hatte sie nicht die letzte Stufe von Schande und Niedertracht ausgeschöpft?
Ja, auf unseren Bühnen zeigt man Frauen, die vom Wege abgekommen sind, anmutig, lächelnd, glücklich, ich will nicht sagen, was sie getan haben. Questum corpore fecerant . Ich begnüge mich damit, folgendes zu sagen. Wenn man sie uns glücklich zeigt, bezaubernd, in Musselin gehüllt, Grafen, Marquis, Herzögen ein anmutiges Händchen reichend, und sie selbst oft den Titel Marquise oder Herzogin tragen: so etwas nennen Sie, die öffentliche Moral achten. Und wer Ihnen die Ehebrecherin zeigt, die in Schande stirbt, der begeht einen Verstoß gegen die öffentliche Moral!
Wissen Sie, ich will nicht sagen, Sie hätten nicht Ihre Gedanken ausgedrückt, denn Sie haben sie nun einmal ausgedrückt, aber Sie haben einer großen Sorge nachgegeben. Nein, nicht Sie, der Ehemann, der Familienvater, der Mann, der hier steht, nicht Sie, das ist nicht möglich; nicht Sie, Sie hätten ohne die Sorge Ihres Plädoyers und einer vorgefassten Meinung nicht gesagt, Monsieur Flaubert sei der Autor eines schlechten Buches! Ja, Ihren eigenen Ideen überlassen, wäre Ihre Bewertung die gleiche wie meine, ich spreche nicht vom literarischen Standpunkt, diesbezüglich können Sie und ich nicht voneinander abweichen, sondern vom Standpunkt der Moral und des religiösen Gefühls, so wie Sie es verstehen, so wie ich es verstehe.
Man hat uns auch vorgeworfen, wir hätten einen materialistischen Pfarrer in Szene gesetzt. Wir haben den Pfarrer genommen, wie wir den Ehemann genommen haben. Er ist kein bedeutender Geistlicher, er ist ein normaler Geistlicher, ein Landpfarrer. Und genauso wie wir niemanden verunglimpft haben, wie wir kein Gefühl, keinen Gedanken ausgedrückt haben, der für den Ehemann beleidigend sein könnte, haben wir auch den auftretenden Geistlichen nicht verunglimpft. Ich will dazu nur ein Wort sagen.
Wollen Sie Bücher, in denen die Geistlichen eine erbärmliche
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