Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
zwei wissentlich Laurent-Pichat geholfen und unterstützt haben bei den Straftaten, welche die oben erwähnten Vergehen vorbereitet, erleichtert und vollendet haben, und weil sie sich dieser in den Artikeln 1 und 8 des Gesetzes vom 17. Mai 1819 sowie 59 und 60 des Strafgesetzbuches vorgesehenen Vergehen mitschuldig gemacht haben.
Monsieur Pinard, Vertreter des Staatsanwaltes, hat die Anklage vorgetragen.
Das Gericht hat nach Anhörung der Verteidigung, vertreten durch Rechtsanwalt Senard für Monsieur Flaubert, Rechtsanwalt Desmarest für Monsieur Pichat und Rechtsanwalt Faverie für den Drucker, auf die heutige Sitzung (7. Februar) die Verkündung des Urteils vertagt, das mit folgenden Worten gefällt wurde:
»In Würdigung der Tatsache, dass Laurent-Pichat, Gustave Flaubert und Pillet beschuldigt sind, die Vergehen des Verstoßes gegen die öffentliche und religiöse Moral sowie gegen die Sittlichkeit begangen zu haben, der Erstgenannte als Täter, weil er in der Zeitschrift mit dem Titel La Revue de Paris , deren verantwortlicher Herausgeber er ist, und in den Nummern vom 1. und 15. Oktober, 1. und 15. November, 1. und 15. Dezember 1856 einen Roman mit dem Titel Madame Bovary veröffentlicht hat, Gustave Flaubert und Pillet als Mittäter, der eine, weil er das Manuskript bereitgestellt, und der andere, weil er besagten Roman gedruckt hat;
in Würdigung der Tatsache, dass die im besonderen erwähnten Stellen des Romans, um den es sich handelt und der an die 300 Seiten umfasst, enthalten sind, nach Wortlaut des Beschlusses der Verweisung an das Strafgericht, auf den Seiten 73, 77 und 78 (Nummer vom 1. Dezember) sowie 271, 272 und 273 (Nummer vom 15. Dezember 1856);
in Würdigung der Tatsache, dass die inkriminierten Stellen, losgelöst und einzeln betrachtet, tatsächlich entweder Ausdrücke oder Bilder oder Schilderungen enthalten, die der gute Geschmack missbilligt und die geeignet sind, berechtigte und ehrenwerte Empfindlichkeiten zu verletzen;
in Würdigung der Tatsache, dass sich dieselben Beobachtungen zu Recht auf andere Stellen anwenden lassen, die durch den Verweisungsbeschluss nicht näher bestimmt sind und auf den ersten Blick die Darlegung von Theorien zu sein scheinen, die nicht weniger im Widerspruch zur Sittlichkeit, zu den Institutionen stehen, welche die Grundlage der Gesellschaft sind, als zu der den erhabensten Zeremonien der Religion geschuldeten Achtung;
in Würdigung der Tatsache, dass aus diesen verschiedenen Gründen das vor Gericht gebrachte Werk eine strenge Verwarnung verdient, denn es muss die Aufgabe der Literatur sein, den Geist zu bereichern und zu ergötzen, indem sie den Verstand ausbildet und die Sitten reinigt, mehr noch, als den Abscheu vor dem Laster zu wecken, indem sie eine Darstellung der Liederlichkeiten bietet, die es in der Gesellschaft geben mag;
in Würdigung der Tatsache, dass die Angeklagten, und insbesondere Gustave Flaubert, die gegen sie gerichtete Anschuldigung nachdrücklich zurückweisen und betonen, der dem Urteil des Gerichts unterworfene Roman verfolge ein zutiefst moralisches Ziel; dass der Autor vor allem beabsichtigte, die Gefahren darzustellen, die aus einer der Umwelt, in der man leben muss, nicht angemessenen Erziehung hervorgehen, und dass er, diesem Gedanken folgend, die Frau, Hauptfigur seines Romans, gezeigt hat, die nach einer Welt und einer Gesellschaft strebt, für die sie nicht gemacht war, unglücklich über den bescheidenen Rang, auf den das Schicksal sie gestellt hat, zunächst ihre Pflichten als Mutter vernachlässigt, dann ihre Pflichten als Gattin verletzt, nacheinander Ehebruch und Ruin in ihr Haus holt und auf elende Weise durch Selbstmord endet, nachdem sie alle Stufen der vollständigen Entwürdigung durchlaufen hat und bis zum Diebstahl herabgesunken ist;
in Würdigung der Tatsache, dass diese ursprünglich gewiss moralische Grundidee in ihren Entwicklungen durch eine gewisse sprachliche Strenge hätte vervollständigt werden müssen sowie durch eine vornehme Zurückhaltung, insbesondere, was die Darstellung der Bilder und Situationen betrifft, die der Autor, seiner Absicht entsprechend, der Leserschaft vor Augen führte;
in Würdigung der Tatsache, dass es nicht statthaft ist, unter dem Vorwand, Charaktere oder Lokalkolorit zu malen, das Tun, Sagen und Treiben der Figuren, welche darzustellen ein Autor sich zur Aufgabe gesetzt hat, in all ihren Verfehlungen nachzubilden; dass eine solche Methode, auf die Werke des Geistes wie
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