Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Titel: Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustave Flaubert
Vom Netzwerk:
Rolle spielen? Nehmen Sie Gil Blas , den Kanonikus von Balzac, Notre-Dame zu Paris von Victor Hugo. Wenn Sie Priester wollen, die eine Schande für den Klerus sind, nehmen Sie diese anderswoher, in Madame Bovary finden Sie keine. Was habe ich gezeigt? Einen Landpfarrer, der in seiner Stellung als Landpfarrer das ist, was Monsieur Bovary ist, ein normaler Mensch. Habe ich ihn liederlich, verfressen, trunksüchtig dargestellt? Von alldem habe ich kein Wort gesagt. Ich habe ihn so dargestellt, wie er sein Amt ausfüllt, nicht mit überragender Intelligenz, aber so, wie seine Natur ihn befähigte, es auszufüllen. Zu ihm in Beziehung gesetzt, und in fast ständige Diskussion mit ihm verwickelt, habe ich eine Gestalt, die überleben wird – wie die Erfindung Monsieur Prudhomme überlebt hat – , wie einige andere Erfindungen unserer Zeit überleben werden, weil sie so genau studiert und aus dem Wahren genommen sind, dass man sie unmöglich vergessen kann; das ist der Landapotheker, der Voltairianer, der Skeptiker, der Ungläubige, der Mann, der in ständigem Streit mit dem Pfarrer lebt. Wer aber wird in diesen Streitereien mit dem Pfarrer fortwährend geschlagen, verhöhnt, lächerlich gemacht? Es ist Homais, er hat die komischste Rolle bekommen, weil er die wahrste Figur ist, weil er am besten unsere skeptische Zeit wiedergibt, ein Fanatiker, ein sogenannter Pfaffenfresser. Gestatten Sie mir noch, Ihnen die Seite 206 vorzulesen. Die gute Frau vom Gasthof bietet ihrem Pfarrer etwas an:
    »›Womit kann ich dienen, Herr Pfarrer?‹ fragte die Gastwirtin und griff nach einem der Messingleuchter, die aneinandergereiht samt ihren Kerzen auf dem Kamin standen. ›Möchten Sie etwas trinken? ein Schlückchen Cassis? ein Glas Wein?‹
    Der Geistliche verneinte aufs höflichste. Er wolle nur seinen Regenschirm holen, den er neulich im Kloster Ernemont vergessen hatte, dann bat er Madame Lefrançois, diesen am Abend im Pfarrhaus abgeben zu lassen, und machte sich auf den Weg in die Kirche, denn man läutete bereits zum Angelus .
    Als der Apotheker draußen auf dem Platz das Geräusch seiner Schuhe nicht mehr hörte, fand er sein Benehmen von eben höchst ungebührlich. Eine angebotene Erfrischung auszuschlagen dünkte ihn eine abscheuliche Heuchelei; die Priester süffelten alle im Verborgenen und wollten am liebsten wieder den Zehnten einführen.
    Die Wirtin verteidigte ihren Pfarrer:
    ›Außerdem könnte er leicht vier von Ihrer Sorte übers Knie legen. Letztes Jahr hat er unseren Leuten geholfen, das Stroh einzubringen; bis zu sechs Bündel gleichzeitig hat er getragen, so stark ist der!‹
    ›Bravo!‹ sagte der Apotheker. ›Schickt nur eure Töchter zu so gut gestrickten Prachtkerlen in die Beichte! Wenn ich die Regierung wäre, ich würde Priester einmal im Monat zur Ader lassen. Ja, Madame Lefrançois, einmal im Monat eine schöne Phlebotomie, im Interesse von Ordnung und Sitte!‹
    ›Seien Sie still, Monsieur Homais! Sie sind gottlos! Sie haben keine Religion!‹
    Der Apotheker antwortete:
    ›Ich habe eine Religion, meine Religion, und ich habe sogar mehr davon als die alle zusammen, mit ihrem Mummenschanz und Hokuspokus! Im Gegenteil, ich liebe Gott! Ich glaube an das höchste Wesen, an einen Schöpfer, ganz gleich, wer’s auch immer sei, der uns in diese Welt gestellt hat, damit wir unsere Pflichten als Staatsbürger und Familienvater erfüllen; aber dafür muss ich nicht in eine Kirche gehen, Silberschalen küssen und aus meiner Tasche eine Bande von Hanswursten mästen, die besser leben als wir! Man kann ihn nämlich genausogut in einem Wald verehren, auf einem Acker oder sogar beim Betrachten des Himmelsgewölbes, wie die Alten. Mein Gott, das ist der Gott von Sokrates, von Franklin, von Voltaire und Béranger! Ich bin für das Glaubensbekenntnis des savoyischen Vikars und die unsterblichen Prinzipien von 89! Drum kann ich den lieben Gott auch keinen guten Mann sein lassen, der mit dem Stock in der Hand durch sein Gärtlein spaziert, seine Freunde in Walfischbäuche stopft, mit einem lauten Schrei stirbt und nach drei Tagen aufersteht – für sich genommen absurde und übrigens allen Gesetzen der Physik völlig zuwiderlaufende Dinge; was uns nebenbei beweist, dass die Priester immer schon in schändlicher Unwissenheit vor sich hin moderten, und in diesen Abgrund wollen sie die ganze Menschheit reißen.‹
    Er schwieg und suchte ringsumher mit den Augen nach einem Publikum, denn in seiner Erregung glaubte sich

Weitere Kostenlose Bücher