Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
Roger des Genettes, und doch ist er selber nicht ganz unschuldig an verschiedenen Missverständnissen. Immer wieder werden seine Äußerungen zitiert, in denen er sich zur »Objektivität«, zur »impassibilité« des Stils bekennt oder in denen er wiederholt, der Autor müsse aus seinem Werk abwesend sein. Nun wird der Leser jedoch überall Stellen finden, an denen der Autor sehr deutlich zu erkennen gibt, was er von seinen Figuren und dem Geschehen hält; sei’s, dass er Charles’ Konversation als »platt wie ein Gehsteig« bezeichnet; sei’s, dass er die ersten, tastenden Gehversuche des zukünftigen Liebespaars Emma und Léon mit bösester Ironie lächerlich macht, sei’s, dass er in den Liebesdialog von Emma und Rodolphe den »Mist« und den »Merinoschafbock« der Landwirtschaftsausstellung auf eine gerissene Art hineinmontiert, die durchaus mehr ist als mitleidlose Beschreibung, nämlich mitleidlose Erfindung . Man könnte auch umgekehrt sagen: alles in Madame Bovary ist ausschließlich so arrangiert, so ausgedrückt, wie es nicht die »Realität«, sondern der Autor Gustave Flaubert wollte.
Will man den Streit über den »Realismus« der Madame Bovary erklären, so muss man sich tatsächlich in die Position des zeitgenössischen Lesers versetzen. Für diesen Leser war weder Erotik als solche schockierend noch die Schlüpfrigkeiten einer Ehebruchsgeschichte; dies war aus den trivialen »Dienstmädchenromanen« allgemein bekannt. Verstörend aber war die Verbindung dieser Motive mit der bürgerlichen Welt und einer Alltagsgeschichte von nebenan; verstörend war, dass eine Landarztgattin wie du und ich zur Heldin eines großen Romans werden sollte; und verstörend war, dass all dies offenkundig ohne die Konsequenz einer moritatenhaften Moral daherkam; der Prozess im Januar 1857 wird davon noch Zeugnis ablegen.
Die »Vollkommenheit« des Romans gehört in gewissem Sinne auch zum Mythos der Madame Bovary , hat dieser Ruf doch zu vielen Missverständnissen geführt. Die sprachliche Vollkommenheit des Romans ist nämlich keinesfalls gleichbedeutend mit Eleganz, Brillanz oder Schwung, auch nicht mit der definitiven Perfektionierung der klassischen, traditionellen französischen Sprache. Flauberts Prosa sollte die Gralshüter des klassischen Französisch noch lange bis ins zwanzigste Jahrhundert hinein ärgern, und sie ist durchaus nicht immer elegant, brillant oder schwungvoll, sie folgt keineswegs dem inneren Elan eines feurigen, natürlichen rhetorischen Temperaments. Nein, Natürlichkeit oder Eleganz waren niemals das Ziel Flauberts. Im Gegenteil, was dem französischen Leser sofort ins Auge sticht (oder ins Ohr), ist etwas ganz anderes: Flauberts Prosa ist Kunst , seine Sprache ist eine künstlerische Sprache, die sich von der alltäglichen Sprache, wie gepflegt diese auch immer sei, deutlich unterscheidet, und dieser Kunstcharakter ist von Anfang bis Ende spürbar. Er ist spürbar, und sei es zuweilen auch durch eine ungeheure Angespanntheit, eine Konzentration, eine Härte, die den Satz mitunter zu sprengen drohen, wohl auch manches Mal schwer verständlich machen. Und zugleich ist sie eine erkennbar moderne Kunstsprache, die nie auf rhetorische Überwältigung setzt, wie häufig das gigantische, bewunderte und bedrohliche Vorbild Victor Hugo, sondern allein auf den Anspruch, den Dingen, Figuren, Handlungsweisen mit der Sprache so nahe zu kommen wie irgend möglich.
Flauberts Arbeit am Stil des Ganzen und an jedem einzelnen Wort, seine Manie, jeden Satz immer wieder laut aus dem Fenster zu brüllen, sind sprichwörtlich geworden, und er hat sie selber oft beschrieben, so am 19. September 1852 an Louise Colet, als er an Kapitel II des Zweiten Teils (siehe auch unten, S. 645f.) arbeitete: »Was habe ich meine Bovary satt! Dabei fange ich an, mich ein wenig damit zurechtzufinden. Nie im Leben habe ich etwas Schwierigeres geschrieben als das, was ich jetzt mache, einen trivialen Dialog! Diese Szene im Gasthof wird mich vielleicht drei Monate kosten, ich weiß es nicht. Ich möchte manchmal heulen, so sehr spüre ich meine Ohnmacht. Aber lieber krepiere ich darüber, als dass ich sie weglasse. Ich muss in ein und derselben Unterhaltung fünf oder sechs Personen darstellen (die sprechen), mehrere andere (über die gesprochen wird), den Ort, an dem sie sich befinden, die ganze Gegend, indem ich Leute und Dinge physisch beschreibe, und muss inmitten von alldem einen Herrn und eine Dame zeigen, die anfangen
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