Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
Rissen, die ein Unwetter während einer einzigen Nacht manchmal in die Berge gräbt. Doch sie fügte sich; andächtig verschloss sie in der Kommode ihre schöne Toilette und sogar ihre Atlasschuhe, deren Sohlen gelb waren vom Wachs des glatten Parketts. Ihnen glich ihr Herz: durch die Berührung mit dem Reichtum hatte sich etwas darübergelegt, was nicht mehr verschwinden sollte.
Sie wurde also zu einer Beschäftigung für Emma, die Erinnerung an diesen Ball. Jedesmal, wenn der Mittwoch kam, sagte sie sich beim Erwachen: »Ach! vor acht Tagen … vor vierzehn Tagen … vor drei Wochen war ich dort!« Und allmählich verschwammen in ihrem Gedächtnis die Physiognomien, sie vergaß die Melodien der Kontertänze, sie hatte die Livreen und die Räume nicht mehr so deutlich vor Augen; Einzelheiten verflogen, aber die Sehnsucht blieb.
Anmerkungen
IX.
Oft, wenn Charles fort war, suchte sie im Schrank, wo es zwischen der gefalteten Wäsche lag, nach dem Zigarrenetui aus grüner Seide.
Sie betrachtete es, öffnete es und schnupperte sogar den Duft seines Futters, eine Mischung aus Eisenkraut und Tabak. Wem gehörte es? … Dem Vicomte. Vielleicht war es ein Geschenk seiner Geliebten? Auf einem Palisanderrahmen war es gestickt worden, dieses niedliche Ding, vor aller Augen verborgen, viele Stunden hatte es in Anspruch genommen, und die weichen Locken der gedankenversunkenen Stickerin waren darübergefallen. Ein Hauch von Liebe war eingedrungen in das Gewebe des Kanevas; jeder Nadelstich hatte eine Hoffnung festgehalten oder eine Erinnerung, und all diese ineinander verschlungenen Seidenfäden waren nichts als die Fortdauer der immergleichen stillen Leidenschaft. Und dann hatte der Vicomte es eines Morgens mitgenommen. Worüber war gesprochen worden, als es noch auf den Kaminen mit den breiten Gesimsen lag, zwischen Blumenvasen und Pompadour-Pendülen? Sie war in Tostes. Er dagegen war jetzt in Paris; weit weg! Wie war dieses Paris? Welch gewaltiger Name! Immer wieder sprach sie ihn halblaut, um sich daran zu erfreuen; er tönte in ihren Ohren wie die große Glocke einer Kathedrale, er leuchtete vor ihren Augen, sogar auf den Etiketten ihrer Salbtöpfchen.
Nachts, wenn die Fischhändler mit ihren Karren unter den Fenstern vorbeizogen und die Marjolaine sangen, wurde sie wach; und während sie dem Geratter der eisenbeschlagenen Räder lauschte, das am Dorfausgang schnell leiser wurde auf der Erde:
»Morgen sind sie dort!« sagte sie sich.
Und in Gedanken folgte sie ihnen, die Anhöhen hinauf und hinab, über die Dörfer, auf der Landstraße im Sternenlicht. Nach einer unbestimmten Wegstrecke kam stets ein dunkler Ort, wo ihr Traum erlosch.
Sie kaufte sich einen Plan von Paris, und mit dem Finger auf der Karte wanderte sie durch die Kapitale. Sie lief die Boulevards entlang, hielt an jeder Ecke, zwischen den Straßenzeilen, vor den weißen Kästchen, welche die Häuser darstellen. Wenn ihre Augen endlich müde wurden, schloss sie die Lider, und in der Dunkelheit sah sie Gaslaternen sich im Winde biegen, und zugleich Trittbretter von Kaleschen, die mit lautem Knall herunterklappten vor den Säulenhallen der Theater.
Sie abonnierte La Corbeille , eine Zeitschrift für Frauen, und Le Sylphe des salons . Sie verschlang, ohne irgendetwas auszulassen, alle Berichte über Premieren, Pferderennen und Abendgesellschaften, interessierte sich für das Debüt einer Sängerin, die Eröffnung eines Geschäfts. Sie kannte die neuen Moden, die Adressen der guten Schneider, die Tage für den Bois oder die Oper. Sie studierte bei Eugène Sue die Beschreibung von Wohnungseinrichtungen; sie las Balzac und George Sand, suchte dort imaginäre Befriedigung für ihre eigenen Gelüste. Selbst an den Tisch brachte sie ihr Buch und blätterte weiter, während Charles aß und zu ihr sprach. Die Erinnerung an den Vicomte kehrte bei ihren Lektüren immer wieder. Zwischen ihm und den erfundenen Figuren konstruierte sie Zusammenhänge. Der Kreis jedoch, dessen Mittelpunkt er war, wurde allmählich größer, und die Aureole, die ihn umgab, löste sich von seiner Gestalt, breitete sich aus und strahlte auf andere Träume.
Paris, nebelhafter als der Ozean, funkelte so vor Emmas Augen in sattgoldenem Licht. Das üppige Leben, das in diesem Getümmel wogte, war jedoch aufgeteilt nach Bereichen, geordnet zu klar unterscheidbaren Bildern. Emma sah nur zwei oder drei, die ihr alle übrigen verdeckten und für sich allein die gesamte Menschheit ausmachten.
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