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Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Titel: Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustave Flaubert
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und man ging in den großen Saal, wo Madame Lefrançois zur Feier des Tages vier Gedecke hatte auflegen lassen.
    Homais bat um Erlaubnis, seine griechische Mütze aufzubehalten, aus Angst vor Schnupfen.
    Dann wandte er sich an seine Tischnachbarin:
    »Madame ist gewiss ein wenig müde? Man wird so entsetzlich durchgerüttelt in unserer Hirondelle !«
    »Das ist richtig«, antwortete Emma; »doch eine Abwechslung bereitet mir immer Vergnügen; ich komme gern anderswohin.«
    »Es ist so trübsinnig«, seufzte der Kanzlist, »festgenagelt am selben Ort zu leben!«
    »Wenn Sie wie ich«, sagte Charles, »ständig auf dem Pferd sitzen müssten …«
    »Dennoch«, erwiderte Léon an Madame Bovary gerichtet, »gibt es nichts Angenehmeres, scheint mir; sofern man es kann«, fügte er hinzu.
    »Übrigens«, sagte der Pharmazeut, »ist die Ausübung der Medizin in unserer Gegend nicht sehr anstrengend; der Zustand unserer Straßen erlaubt es nämlich, mit dem Kabriolett zu fahren, und im allgemeinen wird recht gut bezahlt, denn die Landwirte sind wohlhabend. Bei uns gibt es, in medizinischer Hinsicht, neben den gewöhnlichen Fällen von Darmkatarrh, Bronchialkatarrh, Gallenleiden usw. hin und wieder zur Erntezeit ein bisschen Wechselfieber, doch alles in allem kaum etwas Ernstes, nichts Besonderes zu vermerken, außer die vielen Skrofeln, die sicher mit den beklagenswerten hygienischen Zuständen in unseren Bauernhäusern zusammenhängen. Ach! Sie werden gegen unzählige Vorurteile anzukämpfen haben, Monsieur Bovary; unzählige gewohnheitsbedingte Eigensinnigkeiten, gegen die alle Anstrengungen Ihrer Wissenschaft tagtäglich stoßen werden; denn man nimmt immer noch Zuflucht zu Novenen, zu Reliquien, zum Pfarrer, anstatt sich in selbstverständlicher Weise an den Arzt oder Apotheker zu wenden. Und doch ist das Klima, ehrlich gesagt, keineswegs schlecht, wir haben in der Gemeinde sogar ein paar Neunzigjährige. Das Thermometer (ich habe es genau beobachtet) fällt im Winter bis auf vier Grad und erreicht in der warmen Jahreszeit fünfundzwanzig, allerhöchstens dreißig Grad Celsius, was maximal vierundzwanzig Grad Reaumur entspricht oder, anders ausgedrückt, vierundfünfzig Grad Fahrenheit (englische Messung), mehr nicht! – und tatsächlich sind wir einerseits durch den Wald von Argueil vor den Nordwinden geschützt und andererseits durch die Anhöhe Saint-Jean vor den Westwinden; diese Hitze freilich, die wegen des vom Fluss aufsteigenden Wasserdampfs und des zahlreichen Viehs auf den Wiesen, das, wie Ihnen bekannt ist, viel Ammoniak ausstößt, also Stickstoff, Wasserstoff und Sauerstoff (nein, nur Stickstoff und Wasserstoff), und die, weil sie den Humus der Erde aufsaugt, weil sie all diese verschiedenen Dünste miteinander mengt, sozusagen bündelt und sich von alleine, sofern es welche gibt, mit der in der Atmosphäre vorhandenen Elektrizität verbindet, auf die Dauer wie in tropischen Ländern gesundheitsschädliche Miasmen hervorbringen könnte; – diese Hitze, sagte ich, wird nun aber gerade auf der Seite, von der sie kommt oder von der sie vielmehr kommen müsste, nämlich auf der Südseite, durch die Südostwinde gemäßigt, die, nachdem sie sich unterwegs von alleine über der Seine abgekühlt haben, manchmal ganz plötzlich über uns herfallen wie die Brisen Russlands!«
    »Haben Sie hier in der Umgebung wenigstens ein paar Spazierwege?« wandte sich Madame Bovary wieder an den jungen Mann.
    »Oh! nur sehr wenige«, antwortete er. »Es gibt einen Ort, der die Weide genannt wird, oben auf den Höhen, am Waldrand. Manchmal gehe ich sonntags dorthin, verweile mit einem Buch und betrachte den Sonnenuntergang.«
    »Ich finde nichts so schön wie Sonnenuntergänge«, erwiderte sie, »vor allem jedoch am Meer.«
    »Oh! Ich liebe das Meer«, sagte Monsieur Léon.
    »Und scheint Ihnen nicht auch«, bemerkte Madame Bovary, »dass der Geist freier schwebt über dieser grenzenlosen Weite, deren Betrachtung einem die Seele erhebt und Gedanken an Unendlichkeit eingibt, an Ideale?«
    »Das Gleiche gilt für Gebirgslandschaften«, erwiderte Léon. »Ich habe einen Cousin, der ist im vergangenen Jahr durch die Schweiz gereist und hat mir gesagt, man könne sich die Poesie der Seen gar nicht vorstellen, den Zauber der Wasserfälle, die gewaltige Wirkung der Gletscher. Man sieht Föhren von unglaublicher Länge, quer über den Wildbächen, Hütten, hoch über Abgründen hängend, und tausend Fuß unter einem ganze Täler, wenn

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