Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
absurde und übrigens allen Gesetzen der Physik völlig zuwiderlaufende Dinge; was uns nebenbei beweist, dass die Priester immer schon in schändlicher Unwissenheit vor sich hin moderten, und in diesen Abgrund wollen sie die ganze Menschheit reißen.«
Er schwieg und suchte ringsumher mit den Augen nach einem Publikum, denn in seiner Erregung glaubte sich der Apotheker für eine Weile mitten im Gemeinderat. Doch die Gastwirtin beachtete ihn nicht mehr; sie lauschte einem fernen Grollen. Man hörte das Geholper eines Wagens, vermischt mit dem Trappeln müder Hufe, die auf den Boden schlugen, und endlich hielt die Hirondelle vor der Tür.
Sie war ein gelber Kasten, getragen von zwei großen Rädern, die hinaufreichten bis ans Verdeck, den Reisenden somit die Sicht versperrten und die Schultern eindreckten. Die kleinen Scheiben ihrer schmalen Klappfenster klirrten in den Rahmen, wenn der Wagen geschlossen war, und zeigten hier und da Kotspritzer auf einer alten Staubschicht, die selbst Gewittergüsse nie ganz fortwuschen. Drei Pferde zogen sie, das erste als Vorspann, und wenn es bergab ging, scharrte sie rumpelnd dahin.
Einige Bürger von Yonville kamen auf den Platz; alle redeten durcheinander, wollten Neuigkeiten, Auskünfte und Tragekörbe; Hivert wusste nicht, wem zuerst antworten. Er machte nämlich in der Stadt Besorgungen für die ganze Gegend. Er ging in die Läden, brachte dem Schuster Lederballen, dem Hufschmied Eisenstücke, ein Fässchen Heringe für seine Wirtin, Häubchen von der Putzmacherin, Toupets vom Friseur; und entlang der Straße, auf dem Heimweg, verteilte er seine Pakete, die er über die Hofzäune warf, auf dem Kutschbock stehend und aus vollem Halse schreiend, während seine Pferde von allein weitertrabten.
Ein Zwischenfall hatte ihn aufgehalten: Madame Bovarys Windspiel war querfeldein davongelaufen. Man hatte eine gute Viertelstunde lang nach ihm gepfiffen. Hivert war sogar eine halbe Meile zurückgefahren, weil er jeden Augenblick meinte, es zu erspähen; doch sie hatten ihren Weg fortsetzen müssen. Emma hatte geweint und getobt; sie hatte Charles die Schuld gegeben an diesem Unglück. Monsieur Lheureux, ein Tuchhändler, der ebenfalls im Wagen saß, hatte sie zu trösten versucht und wusste zahllose Beispiele verlorengegangener Hunde, die ihr Herrchen nach langen Jahren wiedererkannten. Es gab sogar einen, sagte er, der war von Konstantinopel nach Paris heimgetrottet. Ein anderer hatte fünfzig Meilen in gerader Richtung zurückgelegt und vier Flüsse durchschwommen; und sein eigener Vater hatte einen Pudel besessen, der war zwölf Jahre fort gewesen und eines Abends auf der Straße plötzlich an ihm hochgesprungen, als er zum Abendessen in die Stadt ging.
Anmerkungen
II.
Emma erschien als erste, dann Félicité, Monsieur Lheureux, eine Amme, und Charles in seiner Ecke musste man erst wachrütteln, denn er war mit Einbruch der Nacht fest eingeschlafen.
Homais stellte sich vor; er bezeugte Madame seine Verehrung, Monsieur seinen Respekt, sagte, es freue ihn sehr, dass er sich habe gefällig erweisen können, und fügte offenherzig hinzu, er wäre so frei gewesen, sich selbst einzuladen, seine Frau sei ohnehin verreist.
Als Madame Bovary in der Küche war, trat sie an den Kamin. Mit zwei Fingerspitzen ergriff sie ihr Kleid in der Höhe des Knies, zog es hinauf bis zu den Knöcheln, und so, nah der Flamme, über der sich drehenden Lammkeule, wärmte sie ihren Fuß in seinem schwarzen Stiefelchen. Das Feuer erleuchtete sie ganz und gar, drang mit grellem Schein durch das Gewebe des Kleides, die ebenmäßigen Poren ihrer weißen Haut und sogar durch die Augenlider, mit denen sie hin und wieder blinzelte. Ein tiefes Rot glitt über sie, wenn durch die halboffene Tür der Wind hereinfuhr.
Auf der anderen Seite des Kamins stand ein junger Mann mit blondem Haar und betrachtete sie stumm.
Da er sich in Yonville sehr langweilte, er war dort Kanzlist bei dem Notar Guillaumin, pflegte Monsieur Léon Dupuis (denn er war es, der zweite Stammgast im Lion d’or ) den Beginn seiner Mahlzeit hinauszuzögern, in der Hoffnung, irgendein Reisender, mit dem er den Abend verplaudern könne, werde sich im Gasthof zeigen. An Tagen, da er mit seiner Arbeit fertig war, musste er, was hätte er sonst auch tun sollen, wohl oder übel pünktlich sein und von der Suppe bis zum Käse Binets Anblick ertragen. Hocherfreut folgte er deshalb dem Vorschlag der Wirtin, in Gesellschaft der Ankömmlinge zu speisen,
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