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Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Titel: Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustave Flaubert
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privaten Wohls gleichgültig ist und der mit so fester und zugleich so weiser Hand das Staatsschiff durch die unablässigen Gefahren eines stürmischen Meeres lenkt, denn er versteht es, dem Frieden wie auch dem Krieg Achtung zu verschaffen, der Industrie, dem Handel, der Landwirtschaft und den Schönen Künsten.«

    »Ich sollte«, sagte Rodolphe, »ein wenig nach hinten rücken.«
    »Warum?« sagte Emma.
    Doch im selben Augenblick erscholl die Stimme des Präfekturrats mit grandioser Wucht. Er deklamierte:

    »Vorbei sind die Zeiten, meine Herren, da Zwietracht unter den Bürgern unsere öffentlichen Plätze mit Blut befleckte, da Grundbesitzer, Kaufleute, ja selbst Arbeiter, wenn sie abends in friedvollen Schlaf sanken, davor zitterten, jäh aufgeschreckt zu werden vom Sturmgeläut der Brandstifter, da umstürzlerische Sprüche keck die Grundfesten unterminierten …«

    »Man könnte mich«, erklärte Rodolphe, »von unten sehen; dann müsste ich vierzehn Tage lang Ausreden erfinden, und bei meinem schlechten Ruf …«
    »Oh! Sie verleumden sich selbst«, sagte Emma.
    »Nein, nein, er ist greulich, das schwöre ich Ihnen.«

    »Aber, meine Herren«, fuhr der Präfekturrat fort, »wenn ich aus meiner Erinnerung diese düsteren Bilder verjage und den Blick richte auf den gegenwärtigen Zustand unserer schönen Heimat: was sehe ich dann? Allseits blühen Handel und Handwerk; allseits schaffen neue Verkehrswege, gleich neuen Adern im Leib des Staates, neue Beziehungen; unsere großen Gewerbebetriebe haben ihre Tätigkeit wiederaufgenommen; die Religion, gefestigter denn je, ist allen Herzen hold; unsere Häfen sind geschäftig, das Vertrauen erstarkt, und endlich kann Frankreich atmen! …«

    »Übrigens«, fügte Rodolphe hinzu, »vielleicht ist das aus gesellschaftlicher Sicht ganz richtig?«
    »Wie meinen Sie das?« fragte sie.
    »Na ja!« sagte er, »wissen Sie nicht, dass es zerquälte Seelen gibt? Sie brauchen abwechselnd Traum und Tat, reinste Leidenschaft, wildeste Sinnenlust, und so stürzt man sich in allerlei Verrücktheiten, Tollereien.«
    Darauf betrachtete sie ihn, wie man einen Reisenden anstaunt, der außergewöhnliche Länder erkundet hat, und seufzte:
    »Wir haben nicht einmal diese Zerstreuung, wir armen Frauen!«
    »Traurige Zerstreuung, das Glück findet man dabei nicht.«
    »Findet man es denn je?« fragte sie.
    »Ja, eines Tages begegnet man ihm«, antwortete er.

    »Und Sie alle haben das verstanden«, sagte der Präfekturrat. »Sie, die Landwirte und Arbeiter auf dem Feld; Sie, die friedlichen Pioniere eines zutiefst zivilisatorischen Werkes! Sie, die Männer des Fortschritts und der Moral! Sie haben verstanden, sagte ich, dass politische Unwetter noch furchtbarer sind, wahrhaftig, als der Aufruhr in den Lüften …«

    »Eines Tages begegnet man ihm«, wiederholte Rodolphe, »eines Tages, ganz plötzlich und wenn man schon alles verloren gab. Auf einmal öffnen sich Horizonte, es ist, als riefe eine Stimme: ›Da, jetzt!‹ Sie spüren das Verlangen, dieser Person das eigene Leben anzuvertrauen, ihr alles zu schenken, alles zu opfern! Man erklärt nichts, man errät einander. Man kennt sich aus Träumen.« (Und er blickte sie an.) »Endlich ist er da, der Schatz, nach dem man gesucht hat, hier, vor einem; er glitzert, er funkelt. Indes, man zweifelt noch, wagt nicht zu glauben; man ist wie geblendet, als träte man aus Finsternis hinaus in das Licht.«
    Und während er die letzten Worte sprach, fügte Rodolphe die Pantomime zu seinem Satz. Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, wie von einem Taumel ergriffen; dann ließ er sie auf Emmas Hand sinken. Sie zog ihre zurück. Der Präfekturrat las immer noch:

    »Und wen sollte das wundern, meine Herren? Nur denjenigen, der so verblendet ist, so befangen (ich scheue mich nicht, es zu sagen), so befangen in den Vorurteilen einer anderen Zeit, dass er die Gesinnung der Landbevölkerung weiterhin verkennt. Wo finden Sie mehr Patriotismus als auf dem Lande, mehr Aufopferung für das Gemeinwesen, mit einem Wort, mehr Intelligenz? Und darunter verstehe ich nicht, meine Herren, jene oberflächliche Intelligenz, den eitlen Schmuck der Müßiggänger, sondern vielmehr jene tiefe und maßvolle Intelligenz, die vor allen Dingen bestrebt ist, nützliche Ziele zu verfolgen, und damit beiträgt zum Wohl jedes einzelnen, zur Verbesserung im gesamten und zur Festigung der Staaten, Frucht der Achtung vor den Gesetzen und Erfüllung der Pflichten

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