Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
hörte man plötzlich hinter sich das langgezogene Muhen eines Ochsen oder das Blöken von Lämmern, die einander von Straßenecke zu Straßenecke antworteten. Die Kuh- und Schafhirten hatten ihre Tiere nämlich bis hierher getrieben, und diese brüllten von Zeit zu Zeit, rupften mit der Zunge ein grünes Blatt, das ihnen gerade vorm Maul hing.
Rodolphe war näher zu Emma gerückt, und er sagte mit leiser Stimme, hastig:
»Sind Sie nicht empört über diese Verschwörung der Welt? Gibt es ein einziges Gefühl, das sie nicht ächtet? Die edelsten Instinkte, die reinsten Sympathien werden verfolgt, geschmäht, und wenn zwei arme Seelen sich endlich begegnen, wird alles getan, damit sie nicht zueinanderkommen. Sie werden es dennoch versuchen, sie werden mit den Flügeln schlagen, sich rufen. Oh! einerlei, früher oder später, in sechs Monaten, zehn Jahren, werden sie zusammenfinden, sich lieben, denn das Schicksal will es so und sie sind füreinander geschaffen.«
Er saß da, die verschränkten Arme auf den Knien, dann hob er das Gesicht empor zu Emma, musterte sie aus der Nähe, eindringlich. Sie bemerkte in seinen Augen kleine goldene Strahlen, die von den schwarzen Pupillen ausgingen, und sie roch sogar den Duft der Pomade, von der seine Haare glänzten. Mattigkeit befiel sie, ihr kam der Vicomte in den Sinn, mit dem sie in La Vaubyessard Walzer getanzt hatte und dessen Bart, genau wie dieses Haar, ein Parfüm von Vanille und Zitrus verströmte; unwillkürlich schloss sie halb ihre Lider, um es tiefer einzuatmen. Doch als sie dabei den Rücken straffte, erblickte sie in der Ferne, ganz hinten am Horizont, den alten Postwagen Hirondelle , der gemächlich die Anhöhe bei Les Leux herabkam, eine lange Staubfahne im Gefolge. Mit dieser gelben Kutsche war Léon so oft zu ihr heimgekehrt; und auf dieser Straße war er fortgefahren für immer! Sie glaubte ihn gegenüber, an seinem Fenster zu sehen; dann verschwamm alles, Wolken zogen vorüber; ihr schien, sie drehe sich erneut im Walzer, unter den gleißenden Lüstern, am Arm des Vicomte, und Léon sei nicht fern, werde kommen … und zugleich roch sie neben sich den Kopf Rodolphes. Dieses angenehm süße Gefühl durchdrang ihre einstigen Sehnsüchte, und wie Sandkörner bei einem Windstoß wirbelten sie empor in der zarten Duftwolke, die ihre Seele überflutete. Sie blähte mehrmals die Nüstern, kräftig, und atmete die Frische der Efeuranken an den Kapitellen. Sie streifte ihre Handschuhe ab, sie trocknete sich die Hände; dann fächelte sie sich mit ihrem Taschentuch das Gesicht, während sie durch das Pochen ihrer Schläfen das Getöse der Menge vernahm und die Stimme des Präfekturrats, der seine Sätze psalmodierte.
Er sagte:
»Machen Sie weiter! mit zähem Fleiß! hören Sie weder auf die Einflüsterungen der Routine noch auf die vorschnellen Ratschläge eines tollkühnen Empirismus! Arbeiten Sie vor allem an der Verbesserung des Bodens, an gutem Dünger, am Aufschwung der Pferde-, Rinder-, Schaf- und Schweinerassen! Diese Landwirtschaftsausstellung möge für Sie eine friedliche Arena sein, wo am Ende der Sieger dem Besiegten die Hand reicht und sich mit ihm verbrüdert, in der Hoffnung auf besseren Erfolg! Und ihr, ehrwürdige Diener, einfaches Hausgesinde, deren unendliche Mühsal bis auf den heutigen Tag noch keine Regierung gewürdigt hat, kommet und empfanget den Lohn für eure stummen Tugenden und seid versichert, dass der Staat fortan die Augen auf euch richtet, dass er euch stärkt, dass er euch beschützt, dass er euern berechtigten Forderungen nachkommt, und soweit es in seiner Macht steht, wird er Linderungen bringen für die Bürde eurer mühseligen Opfer!«
Monsieur Lieuvain setzte sich wieder; Monsieur Derozerays stand auf, um eine weitere Rede zu halten. Vielleicht war die seine weniger bilderreich als die des Präfekturrats; doch glänzte sie durch nüchternere Stilart, das heißt durch genauere Kenntnisse und vornehmere Erwägungen. So beanspruchte das Lob auf die Regierung weniger Raum; Religion und Landwirtschaft hingegen mehr. Man sah ihr wechselseitiges Verhältnis, und wie beide stets beigetragen hatten zur Zivilisation. Rodolphe plauderte mit Madame Bovary über Träume, Vorahnungen, Magnetismus. Bis an die Wiege der Gesellschaften zurückgehend, schilderte der Redner jene wilden Zeiten, als der Mensch von Eicheln lebte, in dunklen Wäldern. Dann hatte er das Tierfell abgelegt, sich in Tuch gehüllt, Furchen gezogen, Reben gepflanzt.
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