Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
War das nun ein Glück, und hatte diese Entdeckung nicht vielleicht mehr Schattenseiten als Nutzen? Monsieur Derozerays stellte sich diese Frage. Vom Magnetismus war Rodolphe allmählich auf die Wahlverwandtschaften zu sprechen gekommen, und während der Herr Vorsitzende auf Cincinnatus hinter seinem Pfluge verwies, auf Diokletian beim Pflanzen seiner Kohlköpfe und auf die Kaiser von China, die ein neues Jahr mit der Aussaat begannen, erläuterte der junge Mann der jungen Frau, diese unwiderstehliche Anziehung habe ihren Grund in irgendeinem früheren Leben.
»Wir zum Beispiel«, sagte er, »warum haben wir uns kennengelernt? Welcher Zufall hat es gewollt? Sicher haben über die Entfernung hinweg, wie zwei Flüsse, die dahinströmen, um sich zu vereinigen, unsere jeweiligen Neigungen uns zueinandergeführt.«
Und er griff nach ihrer Hand; sie wurde nicht zurückgezogen.
»Insgesamt gute Bewirtschaftung!« schrie der Vorsitzende.
»Neulich, zum Beispiel, als ich zu Ihnen kam …«
»An Monsieur Bizet, aus Quincampoix.«
»Konnte ich wissen, dass ich Sie begleiten würde?«
»Siebzig Franc.«
»Hundertmal wollte ich weggehen, und ich bin Ihnen gefolgt, bin geblieben.«
»Mist.«
»So wie ich heute abend bleibe, morgen, alle andern Tage, mein ganzes Leben!«
»An Monsieur Caron, aus Argueil, eine Goldmedaille!«
»Denn nie zuvor empfand ich in Gesellschaft irgendeines Menschen so vollendeten Zauber.«
»An Monsieur Bain, aus Givry-Saint-Martin!«
»Drum werde ich die Erinnerung an Sie stets bewahren.«
»Für einen Merinoschafbock.«
»Doch Sie werden mich vergessen, ich bin nur ein flüchtiger Schatten.«
»An Monsieur Belot, aus Notre-Dame.«
»O nein! sagen Sie, werde ich etwas sein in Ihren Gedanken, in Ihrem Leben?«
»Schweinezucht, Preis ex aequo : an die Herren Lehérissé und Cullembourg; sechzig Franc!«
Rodolphe drückte ihre Hand, und er spürte, dass sie heiß war und bebte wie ein gefangenes Turteltäubchen, das entfliegen will; doch ob sie ihre Hand zu befreien suchte oder diesen Druck erwiderte, sie bewegte die Finger; er rief:
»Oh! danke! Sie stoßen mich nicht zurück! Sie sind gut! Sie begreifen, dass ich Ihnen angehöre! Lassen Sie’s geschehen, dass ich Sie ansehe, Sie betrachte!«
Ein Winstoß, der durch die Fenster hereinfuhr, kräuselte die Tischdecke, und drunten auf dem Platz hoben sich die großen Hauben der Bäuerinnen wie der Flügelschlag weißer Falter.
»Verwertung von Ölkuchen«, sprach der Vorsitzende.
Er beeilte sich:
»Flandrischer Dung, – Flachsanbau, – Entwässerung, – langfristige Pachtverträge, – Dienstbotentreue.«
Rodolphe sprach nicht mehr. Sie schauten sich in die Augen. Heißes Verlangen ließ ihre trockenen Lippen erzittern; und langsam, wie von allein, schlangen sich ihre Finger ineinander.
»Catherine-Nicaise-Élisabeth Leroux, aus Sassetot-la-Guerrière, für vierundfünfzig Jahre Dienst auf demselben Hof, eine Silbermedaille – im Wert von fünfundzwanzig Franc.«
»Wo ist sie, Catherine Leroux?« wiederholte der Präfekturrat.
Sie erschien nicht, und man hörte Stimmen flüstern:
»Nu geh schon!«
»Nein.«
»Linkshin!«
»Keine Angst!«
»So ein Schaf!«
»Kommt sie endlich?« schrie Tuvache.
»Ja! … da ist sie!«
»Sie soll näher treten!«
Nun sah man eine kleine alte Frau in scheuer Haltung auf die Tribüne tapsen, und unter ihren ärmlichen Kleidern schien sie noch immer weiter zu schrumpfen. An den Füßen trug sie klobige Holzgaloschen und um die Hüften eine große blaue Schürze. Ihr hageres Gesicht, umrahmt von einem Häubchen ohne Borte, war verschrumpelter als eine welke Goldreinette, und aus den Ärmeln ihrer roten Bluse ragten zwei lange Hände mit gichtigen Gelenken. Der Staub in den Scheunen, die Lauge der Wäsche, das Fett der Schafwolle hatten sie so krustig, schrundig, hornig gemacht, dass sie verdreckt wirkten, obwohl sie mit klarem Wasser geschrubbt waren; und nach all dieser harten Arbeit blieben sie halb geöffnet, als wollten sie demutsvoll Zeugnis ablegen von so viel erlittenem Leid. Eine Art mönchischer Strenge betonte den Ausdruck ihres Gesichts. Nichts Trauriges oder Rührseliges verweichlichte den fahlen Blick. Im Umgang mit den Tieren hatte sie deren Stummheit angenommen und deren Sanftmut. Zum ersten Mal fand sie sich inmitten einer so zahlreichen Versammlung; und tief im Innern eingeschüchtert durch die Fahnen, durch die Trommeln, durch die Herren im schwarzen Frack und durch das
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