Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
erdenklichen Lügenmärchen, und vor Augen hatte sie dabei ständig diesen Schwachkopf mit seiner Jagdtasche.
Weil Charles merkte, dass irgendetwas sie bekümmerte, wollte er sie nach dem Essen ein wenig zerstreuen und zum Apotheker mitnehmen; und der erste Mensch, den sie in der Apotheke sah, war nochmals er, der Steuereinnehmer! Er stand vor dem Verkaufstresen, angestrahlt vom Licht des roten Glasbehälters, und er sagte:
»Geben Sie mir bitte eine halbe Unze Vitriol.«
»Justin«, schrie der Apotheker, »bring die Schwefelsäure.«
Dann, zu Emma, die hinaufgehen wollte in Madame Homais’ Wohnung:
»Nein, bleiben Sie, es lohnt sich nicht, sie kommt gleich herunter. Wärmen Sie sich einstweilen am Ofen … Verzeihen Sie … Guten Abend, Doktor (der Apotheker sprach nämlich das Wort Doktor besonders gerne aus, so als würde, wenn er einen andern damit titulierte, ein wenig von dem Glanze, den es besaß, auf ihn selbst zurückfallen) … Vorsicht, du wirfst noch die Mörser um! geh lieber und hol die Stühle aus der kleinen Stube; du weißt doch, die Armsessel bleiben im Salon.«
Um seinen Armsessel wieder an den rechten Platz zu rücken, sprang Homais hinter dem Verkaufstresen hervor, da verlangte Binet eine halbe Unze Zuckersäure.
»Zuckersäure?« fragte der Apotheker verächtlich. »Kenn ich nicht, nie gehört! Sie möchten vielleicht Kleesäure? Klee meinen Sie, stimmt’s?«
Binet erklärte, er brauche ein Ätzmittel, denn er wolle selbst eine Kupferlösung herstellen, zum Entrosten verschiedener Jagdgeräte. Emma erschauerte. Nun sagte auch noch der Apotheker:
»Allerdings, das Wetter ist ungünstig wegen der Feuchtigkeit.«
»Und doch«, erwiderte der Steuereinnehmer mit pfiffiger Miene, »gibt es Leute, die sich nichts daraus machen.«
Ihr stockte der Atem.
»Geben Sie mir noch …«
»Der geht ja überhaupt nicht mehr!« dachte sie.
»Eine halbe Unze Kolophonium und Terpentin, vier Unzen gelbes Wachs und anderthalb Unzen Knochenkohle, bitte schön, damit ich das Lackleder an meiner Ausrüstung putzen kann.«
Der Pharmazeut begann gerade Wachs zu schneiden, da erschien Madame Homais, Irma auf dem Arm, Napoléon an ihrer Seite und Athalie im Gefolge. Sie ging zu der samtenen Bank am Fenster, und der Junge hockte sich auf einen Schemel, während seine ältere Schwester um die Dose mit Brustbeeren strich, unweit ihres allerliebsten Papas. Dieser füllte Trichter und verstöpselte Flaschen, er klebte Etiketten, er schnürte Pakete. Rings um ihn herrschte Schweigen; man hörte nur zuweilen die Gewichte in den Waagschalen klingeln, und dazu die leise Stimme des Apothekers, der seinen Schüler belehrte.
»Was macht denn Ihr Mädelchen?« fragte plötzlich Madame Homais.
»Ruhe!« rief ihr Gemahl und schrieb Zahlen in seine Kladde.
»Warum haben Sie’s nicht mitgebracht?« erkundigte sie sich mit gedämpfter Stimme.
»Pst! pst!« flüsterte Emma und deutete mit dem Finger auf den Pharmazeuten.
Doch Binet, ganz versunken ins Entziffern seiner Rechnung, hatte wohl nichts gehört. Endlich verschwand er. Nun tat Emma erleichtert einen tiefen Seufzer.
»Wie schwer Sie atmen!« sagte Madame Homais.
»Ach! mir ist ein bisschen warm«, erwiderte sie.
Darum beschlossen sie am nächsten Tag, ihre Rendezvous besser einzurichten; Emma wollte ihre Dienstmagd mit einem Geschenk bestechen; doch war es klüger, man fände in Yonville ein unauffälliges Haus. Rodolphe versprach, sich umzusehen.
Den ganzen Winter lang, drei-, viermal die Woche, kam er bei tiefschwarzer Nacht in den Garten. Emma hatte vorsorglich den Schlüssel des kleinen Gatters abgezogen, und Charles wähnte ihn verloren.
Um ihr ein Zeichen zu geben, warf Rodolphe eine Handvoll Sand gegen die Läden. Sie sprang auf, manchmal jedoch musste sie warten, denn Charles hatte die Angewohnheit, am Kamin zu schwatzen, und er fand kein Ende. Sie verzehrte sich vor Ungeduld; wären ihre Augen imstande gewesen, sie hätten ihn aus dem Fenster gestürzt. Schließlich machte sie langsam Toilette für die Nacht; dann nahm sie ein Buch und las in aller Ruhe weiter, als hätte sie Freude am Lesen. Doch Charles, der bereits im Bett lag, mahnte sie zum Schlafengehen.
»Komm, Emma«, sagte er, »es ist Zeit.«
»Ja, ich komm schon!« antwortete sie.
Da ihn aber die Kerzen blendeten, drehte er sich zur Wand und schlief ein. Sie schlüpfte hinaus, mit angehaltenem Atem, lächelnd, erregt, leicht bekleidet.
Rodolphe hatte einen großen Mantel; er
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