Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
war alles friedlicher denn je, Rodolphe war es gelungen, den Ehebruch nach seinen Vorstellungen zu lenken; und sechs Monate später, als der Frühling kam, standen sie zueinander wie zwei Eheleute, die in aller Ruhe ihre häusliche Flamme nähren.
Um diese Zeit schickte Vater Rouault immer seine Pute zum Andenken an das wiederhergestellte Bein. Dieses Geschenk kam jedesmal samt einem Brief. Emma zerschnitt den Faden, mit dem er am Korb festgebunden war, und las die folgenden Zeilen:
»Meine lieben Kinder,
ich hoffe, dass Euch dieses Schreiben gesund und wohlbehalten antrifft und die hier so gut schmeckt wie alle anderen; denn sie scheint mir ein bisschen weichlicher, wenn ich so sagen darf, und fetter. Aber das nächste Mal bekommt Ihr zur Abwechslung einen Hahn, es sei denn, Ihr habt eine besondere Vorliebe für die Truthühner; und schickt mir bitte den Tragekorb zurück, zusammen mit den zwei vorigen. Mir ist ein Unglück passiert mit dem Wagenschuppen, die Überdachung ist eines Nachts, als es stark windete, in die Bäume geflogen. Auch die Ernte war nicht gerade üppig. Kurzum, ich weiß nicht, wann ich Euch aufsuchen kann. Es ist so schwierig geworden, das Haus zu verlassen, seit ich allein bin, meine arme Emma!«
Und hier folgte ein Abstand zwischen den Zeilen, als hätte der gute Mann seine Feder fallen lassen und ein Weilchen geträumt.
»Was mich betrifft, es geht mir gut, ausgenommen der Schnupfen, den ich neulich auf dem Markt in Yvetot erwischt habe, wo ich hingefahren bin, um einen Schafhirten zu dingen, den meinigen habe ich hinausgeworfen, wegen seiner Zimperlichkeit beim Essen. Man hat nur Verdruss mit all den Halunken! Dazu war er noch ein Gauner.
Von einem Hausierer, der im Winter durch Eure Gegend gewandert ist und sich einen Zahn reißen ließ, habe ich erfahren, dass Bovary immer noch hart arbeitet. Das wundert mich nicht, und er hat mir seinen Zahn auch gezeigt; wir haben einen Kaffee miteinander getrunken. Ich habe ihn gefragt, ob er Dich gesehen hat, er verneinte, aber im Stall hat er zwei Pferde gesehen, woraus ich schließe, dass die Geschäfte laufen. Umso besser, meine lieben Kinder, und der gütige Herrgott schicke Euch alles erdenkliche Glück.
Auch dauert mich, dass ich meine inniggeliebte Enkeltochter Berthe Bovary noch immer nicht kenne. Ich habe für sie im Garten, unter Deinem Zimmer, einen Pflaumenbaum mit Haferpflaumen gepflanzt, und keiner darf ihn anrühren, es sei denn, um ihr später Eingemachtes zu kochen, das ich im Schrank aufbewahren werd eigens für sie, wenn sie einmal herkommt.
Lebt wohl, meine lieben Kinder. Ich küsse Dich, Tochter; Euch ebenfalls, Schwiegersohn, und die Kleine auf beide Wangen.
Ich verbleibe mit herzlichen Grüßen,
Euer treusorgender Vater
THÉODORE ROUAULT.«
Ein paar Minuten hielt sie das grobe Papier noch zwischen den Fingern. Die Rechtschreibfehler schlangen sich ineinander, und Emma hing den zärtlichen Gedanken nach, die überall hervorgackerten wie ein halb in der Dornenhecke verstecktes Huhn. Die Schrift war mit Kaminasche getrocknet worden, denn ein bisschen grauer Staub rieselte aus dem Brief auf ihr Kleid, und fast meinte sie ihren Vater zu sehen, der sich hinunterbückte zur Feuerstelle und nach den Zangen griff. Wie lang war es her, dass sie bei ihm gesessen hatte, auf dem Schemelchen am Kamin, und die Spitze eines Stocks verbrannte in der lodernden Flamme von knisterndem Stechginster! … Sie erinnerte sich an Sommerabende voll strahlender Sonne. Die Fohlen wieherten, wenn jemand vorüberging, und galoppierten, galoppierten … Unter ihrem Fenster stand ein Bienenstock, und manchmal prallten die im Licht wirbelnden Tierchen gegen die Scheiben wie hüpfende Goldkugeln. Wieviel Glück damals! wieviel Freiheit! wieviel Hoffnung! wieviel überschäumende Illusionen! Nichts war mehr übrig! Sie hatte eine nach der andern verschleudert bei all den Abenteuern ihrer Seele, während der verschiedenen Lebensstadien, in der Jungfräulichkeit, in der Ehe und in der Liebe; – hatte sie im Laufe ihres Lebens allmählich verloren, wie ein Reisender, der etwas von seinem Reichtum in jedem Gasthof am Wegesrand zurücklässt.
Was aber machte sie nur so unglücklich? wo war die ungeheure Katastrophe, die ihr Innerstes erschüttert hatte? Und sie hob den Kopf, blickte sich um, als suche sie nach der Ursache ihres Leids.
Ein Aprilsonnenstrahl schillerte auf dem Porzellan der Etagere; das Feuer brannte; sie spürte unter ihren
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