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Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Titel: Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustave Flaubert
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nichts anderes ist als Einklang des Charakters mit den Verhältnissen. Ihre Begierden, ihr Leid, das Erleben von Lust und ihre immer noch jugendlichen Illusionen hatten, ganz so wie Mist, Regen, Wind und Sonne bei den Blumen, sie schrittweise weiterentwickelt, und endlich erstrahlte sie in der vollen Blüte ihres Wesens. Ihre Lider schienen eigens geformt für die langen verliebten Blicke, bei denen sich das Auge verschleierte, während ein kräftiger Atem ihre zarten Nüstern blähte und die fleischigen Winkel ihrer Lippen hochzog, die bei hellem Licht überschattet waren von dunklem Flaum. Man hätte glauben können, ein in Verderbnis bewanderter Künstler habe ihr den lockigen Chignon im Nacken arrangiert: das Haar war zu einer schweren Masse verschlungen, nachlässig und den Launen des Ehebruchs unterworfen, der es tagtäglich löste. Ihre Stimme wurde jetzt weich und geschmeidig, ihre Figur ebenfalls; etwas Schmeichelndes, das einen durchdrang, entströmte sogar den Falten ihres Kleides und der Wölbung ihres Fußes. Charles, wie in der ersten Zeit seiner Ehe, fand sie hinreißend und ganz unwiderstehlich.
    Wenn er spät in der Nacht heimkehrte, wagte er nicht sie zu wecken. Das Porzellanlämpchen warf einen zitternden Lichtkreis an die Decke, und die zugezogenen Vorhänge der kleinen Wiege ähnelten einer weißen Kate, die sich im Dunkel plusterte, neben dem Bett. Charles betrachtete die beiden. Er glaubte die leichten Atemzüge seiner Tochter zu hören. Sie wuchs jetzt rasch; jede neue Jahreszeit brachte einen Fortschritt. Er sah sie bereits gegen Ende des Tages von der Schule kommen, ausgelassen, das Jäckchen mit Tinte bekleckert, und am Arm ihren Korb; dann würde man sie ins Internat geben müssen, das war teuer; wie sollte er’s schaffen? Und so grübelte er nach. Er überlegte, einen kleinen Hof in der Umgebung zu pachten, wo er selbst nach dem Rechten sehen könnte, jeden Morgen, auf dem Weg zu seinen Kranken. Die Einkünfte würde er zurücklegen, er wollte sie auf die Sparkasse bringen; hinterher konnte er Aktien kaufen, irgendwelche, ganz gleich; auch die Zahl seiner Patienten würde steigen; er rechnete fest damit, denn er wollte, dass Berthe eine gute Erziehung bekam, dass sie Begabungen entwickelte, Klavierspielen lernte. Ach! wie hübsch würde sie aussehen, später, mit fünfzehn, wenn sie ihrer Mutter glich und wie diese im Sommer große Strohhüte trug! von weitem hielte man sie für Schwestern! Er malte sich aus, wie sie abends bei ihnen saß und Handarbeiten machte im Lampenschein; sie stickte ihm Pantoffeln; sie besorgte den Haushalt; sie erfüllte das ganze Heim mit ihrer Herzlichkeit und ihrem Frohsinn. Zuletzt musste er noch an ihre Verheiratung denken: man würde einen rechtschaffenen Burschen finden mit solider Stellung; er würde sie glücklich machen; das würde halten, ewig.
    Emma schlief nicht, sie stellte sich schlafend; und während er an ihrer Seite einschlummerte, erwachte sie zu anderen Träumen.
    Im Galopp von vier Pferden wurde sie seit nunmehr acht Tagen in ein neues Land getragen, und aus dem würden sie niemals wiederkehren. Sie fuhren und fuhren, hielten einander umschlungen, wortlos. Oftmals erblickten sie von einer Bergeshöhe ganz plötzlich eine prachtvolle Stadt mit Kuppeln, Brücken, Schiffen, Zitronenhainen und Kathedralen aus weißem Marmor, deren spitze Glockentürme gekrönt waren von Storchennestern. Man rollte im Schrittempo, wegen der großen Steinplatten, und am Boden lagen Blumensträuße, dargeboten von Frauen in rotem Mieder. Man hörte Glocken läuten, Maulesel wiehern, dazwischen das Säuseln der Gitarren und Plätschern der Brunnen, aus denen feiner Nebel sprühte und das zu hohen Pyramiden gestapelte Obst kühlte, am Fuß bleicher, unterm Wasserstrahl lächelnder Statuen. Und dann kamen sie eines Abends in ein Fischerdorf, wo braune Netze im Wind trockneten, vor der Felsklippe und den Hütten. Hier wollten sie bleiben; wohnen würden sie in einem niedrigen Haus mit flachem Dach, beschattet von einer Palme, in einer Bucht am Meeresstrand. Sie würden in Gondeln spazierenfahren, sich in Hängematten wiegen; und ihr Leben wäre leicht und weit wie ihre Seidengewänder, warm und sternbesät wie die lauen Nächte, zu denen sie emporblickten. Doch in der Unermesslichkeit dieser Zukunft, die sie herbeiphantasierte, geschah nichts Besonderes; die stets herrlichen Tage glichen einander wie schäumende Wogen; und alles schaukelte am Horizont, endlos,

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