Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
Emma allesamt ausschlug; hinterher stand sie noch eine Weile da und betastete in ihrer Schürzentasche die beiden Hundert-Sou-Münzen, die er ihr herausgegeben hatte. Sie nahm sich vor, sparsam zu sein, dann konnte sie das Geld später einmal …
»Ach was!« dachte sie, »er wird nicht dran denken.«
Außer der Reitpeitsche mit Vermeilknauf hatte Rodolphe ein Siegel bekommen, eingraviert trug es den Spruch: Amor nel cor ; darüber hinaus eine Schärpe, für ein Halstuch, und schließlich ein Zigarrenetui, ganz ähnlich dem des Vicomte, welches Charles einst von der Straße aufgelesen hatte und Emma immer noch verwahrte. Ihn aber beschämten diese Geschenke. Er wies das eine oder andere zurück; sie drängte, und am Ende gehorchte Rodolphe, fand sie tyrannisch und allzu besitzergreifend.
Zudem hatte sie wunderliche Einfälle:
»Schlag Mitternacht«, sagte sie, »denk an mich!«
Und wenn er sein Vergessen eingestand, wurde er mit Vorwürfen überschüttet, und stets endeten sie auf das ewiggleiche Wort:
»Liebst du mich?«
»Ja sicher, ich liebe dich!« antwortete er.
»Sehr?«
»Natürlich!«
»Du hast nie eine andere geliebt, hm?«
»Glaubst du vielleicht, du hättest mir die Jungfräulichkeit geraubt?« rief er lachend.
Emma weinte, und er gab sich Mühe, sie zu trösten, verzierte seine Beteuerungen mit Witzelei.
»Oh! es ist ja nur, weil ich dich liebe!« begann sie von neuem, »ich liebe dich so sehr, dass ich nicht leben kann ohne dich, weißt du? Manchmal habe ich so unbändiges Verlangen, dich wiederzusehen, dass mich die Raserei der Liebe schier zerreißt. Ich frage mich: ›Wo ist er? Vielleicht spricht er mit anderen Frauen? Sie lächeln, er tritt näher …‹ O nein! keine gefällt dir, nicht wahr? Es gibt schönere; ich aber, ich verstehe besser zu lieben! Ich bin deine Magd und deine Konkubine! Du bist mein König, mein Abgott! du bist gut! du bist schön! du bist gescheit! du bist stark!«
Er hatte derlei Dinge schon so oft gehört, sie dünkten ihn nichts Besonderes. Emma war wie alle Mätressen; und der Reiz des Neuen, der langsam abfiel wie ein Kleid, entblößte die ewige Monotonie der Leidenschaft, welche stets die gleichen Formen hat und die gleiche Sprache. Er war außerstande, dieser erfahrene Mann, die Andersartigkeit der Gefühle zu erkennen, unter der Gleichartigkeit der Sätze. Weil käufliche oder liederliche Lippen ihm dieselben Worte zugeflüstert hatten, glaubte er nur mäßig an die Unschuld dieser hier; da musste man wohl Abstriche machen, dachte er, übersteigerte Reden verbergen oft mittelmäßige Gefühle; als ergieße eine übervolle Seele sich nicht zuweilen in leeren Bildern, denn niemand kann seine Bedürfnisse oder seine Vorstellungen oder seine Schmerzen jemals angemessen ausdrücken, und die menschliche Sprache ist wie ein gesprungener Kessel, auf dem wir Melodien für Tanzbären trommeln, erweichen möchten wir eigentlich die Sterne.
Doch mit der kritischen Überlegenheit eines Menschen, der sich bei ganz gleich welcher Verpflichtung sehr zurückhält, hatte Rodolphe in dieser Liebe andere Freuden entdeckt, die er genießen konnte. Er hielt jedes Zartgefühl für lästig. Er behandelte sie rücksichtslos. Er machte aus ihr etwas Biegsames und Verderbtes. Es war eine Art blödsinniger Anhänglichkeit voller Bewunderung für ihn, voller Lust für sie, ein seliges Glück, das sie einlullte; und ihre Seele sank hinab in diese Trunkenheit und ersoff, verschrumpelt, wie der Herzog von Clarence in seinem Fass Malvasier.
Allein durch ihre Liebesgewohnheiten änderte sich Madame Bovarys Verhalten. Ihre Blicke wurden kühner, ihre Reden freier; sie trieb die Ungehörigkeit so weit, an Monsieur Rodolphes Seite umherzuspazieren, eine Zigarette im Mund, als wolle sie alle Welt herausfordern ; wer zuletzt noch gezweifelt hatte, zweifelte nicht länger, als man sie eines Tages aus der Hirondelle steigen sah, die Taille umschmiegt von einer Weste in Herrenfasson; und die alte Madame Bovary, die sich nach einer furchtbaren Szene mit ihrem Mann zum Sohn geflüchtet hatte, war kaum weniger entrüstet als die anderen Bürgersfrauen. Noch weitere Dinge missfielen ihr: zunächst einmal hatte Charles auf ihre Ratschläge hinsichtlich des Romanverbots nicht gehört; dann missfielen ihr die Manieren im Haus ; sie erlaubte sich Bemerkungen, und es gab Streit, einmal vor allem, wegen Félicité.
Die alte Madame Bovary hatte sie am Vorabend, auf dem Flur, in Begleitung eines Mannes
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