Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
überrascht, eines Mannes mit dunkler Fraise, so um die vierzig, und beim Geräusch ihrer Schritte war er schnell durch die Küche entwischt. Da musste Emma lachen; die gute Frau jedoch ereiferte sich und verkündete, falls man Sittsamkeit nicht geringschätze, müsse man über die seiner Dienstboten wachen.
»In was für einer Welt leben Sie?« sagte die Schwiegertochter mit so frechem Blick, dass Madame Bovary fragte, ob sie nicht vielleicht in eigener Sache spreche.
»Hinaus!« schrie die junge Frau und sprang hoch.
»Emma! … Mama! …« rief Charles, um Versöhnung bemüht.
Doch alle beide waren fortgerannt in ihrem Zorn. Emma sagte nur immer wieder aufstampfend:
»Ah! keine Lebensart! diese Bäuerin!«
Er lief zu seiner Mutter; sie war außer aller Fassung, sie stammelte:
»So eine unverschämte Person! ein flatterhaftes Ding! wenn nicht schlimmer!«
Und sie wollte auf der Stelle abreisen, falls die andere sich nicht bei ihr entschuldige. Charles begab sich also nochmals zu seiner Frau und beschwor sie nachzugeben; er fiel auf die Knie; sie antwortete schließlich:
»Gut! Ich gehe.«
Wahrhaftig streckte sie ihrer Schwiegermutter, würdevoll wie eine Marquise, die Hand entgegen und sagte:
»Verzeihen Sie, Madame.«
Wieder oben in ihrem Zimmer, warf Emma sich bäuchlings aufs Bett, und sie weinte wie ein Kind, den Kopf ins Kissen gewühlt.
Es war vereinbart, zwischen ihr und Rodolphe, sie werde im Falle eines außergewöhnlichen Ereignisses einen kleinen weißen Papierfetzen an den Fensterladen binden, damit er unverzüglich, sollte ihn der Zufall gerade nach Yonville geführt haben, in das Gässchen kam, hinters Haus. Emma gab das Zeichen; sie wartete bereits eine Dreiviertelstunde, da entdeckte sie plötzlich Rodolphe bei der Markthalle. Sie war versucht, das Fenster aufzureißen, ihn zu rufen; doch schon war er fort. Wieder sank sie verzweifelt nieder.
Wenig später jedoch meinte sie Schritte zu hören auf dem Trottoir. Das war er, ganz gewiss; sie lief die Treppe hinab, überquerte den Hof. Er war da, draußen. Sie stürmte in seinen Arm.
»Vorsicht«, sagte er.
»Oh! wenn du wüsstest!« erwiderte sie.
Und sie fing an ihm alles zu erzählen, voller Hast, ohne Zusammenhang, das Vorgefallene übertreibend, manches hinzuerfindend und sich in so vielen Abschweifungen verlierend, dass er nichts begriff.
»Na, na, mein armer Engel, sei tapfer, beruhige dich, hab Geduld!«
»Seit vier Jahren übe ich mich in Geduld und leide! … Eine Liebe wie unsere muss man eingestehen vor Gottes Angesicht! Sie quälen mich entsetzlich! Ich ertrag es nicht länger! Rette mich!«
Und sie schmiegte sich an Rodolphe. Ihre tränennassen Augen blitzten wie Flammen unter den Wogen; ihr Busen atmete heftig; nie hatte er sie so sehr geliebt; er verlor den Kopf und sagte:
»Was soll ich tun? was willst du?«
»Bring mich fort!« rief sie. »Entführe mich! … Oh! ich flehe dich an!«
Und sie stürzte sich auf seinen Mund, wie um die unverhoffte Einwilligung zu erhaschen, die ihm mit einem Kuss entschlüpfte.
»Aber …«, entgegnete Rodolphe.
»Was denn?«
»Und deine Tochter?«
Sie überlegte ein paar Minuten und antwortete dann:
»Wir nehmen sie mit, es geht nicht anders!«
»Was für eine Frau!« sagte er sich und blickte ihr hinterher.
Denn sie war in den Garten verschwunden. Man rief nach ihr.
Mutter Bovary wunderte sich an den folgenden Tagen sehr über die Verwandlung ihrer Schwiegertochter. In der Tat zeigte Emma sich gefügiger und trieb die Ehrerbietung so weit, dass sie um ein Rezept bat für eingelegte Essiggürkchen.
Glaubte sie, damit alle beide leichter prellen zu können? oder wollte sie, in einer Art von wollüstigem Stoizismus, die Bitterkeit der Dinge, denen sie den Rücken kehrte, noch einmal auskosten bis auf den Grund? Aber das alles kümmerte sie nicht, im Gegenteil; sie lebte wie eingetaucht in die genüssliche Vorfreude auf ihr künftiges Glück. Davon konnte sie mit Rodolphe endlos plaudern. Sie lehnte sich an seine Schulter, sie flüsterte:
»Hm! wenn wir erst in der Postkutsche sitzen! … Denkst du daran? Ist es die Möglichkeit? Mir scheint, wenn ich endlich spüre, wie der Wagen anfährt, wird es sein, als stiegen wir in einem Ballon empor, flögen hinauf zu den Wolken. Weißt du, dass ich die Tage zähle? … Und du?«
Nie war Madame Bovary schöner gewesen als in dieser Zeit; sie besaß jene rätselhafte Schönheit, die hervorgeht aus Freude, Begeisterung, Erfolg und
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