Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
harmonisch, blauend und überstrahlt von der Sonne. Aber das Kind begann in seiner Wiege zu husten, oder Bovary schnarchte lauter, und Emma schlief erst am Morgen ein, wenn das Dämmerlicht die Fensterscheiben weiß färbte und der kleine Justin draußen auf dem Platz die Läden der Apotheke öffnete.
Sie hatte Monsieur Lheureux kommen lassen und ihm gesagt:
»Ich brauche einen Mantel, einen großen Mantel, mit breitem Kragen, gefüttert.«
»Gehen Sie auf Reisen?« fragte er.
»Nein! aber …, einerlei, ich kann auf Sie zählen, nicht wahr? und rasch!«
Er verneigte sich.
»Ich brauche außerdem«, ergänzte sie, »eine Kiste …, nicht allzu schwer …, handlich.«
»Jaja, ich weiß schon, etwa zweiundneunzig mal fünfzig Zentimeter, wie man sie heutzutage hat.«
»Und einen Nachtsack.«
»Aha«, dachte Lheureux, »da ist etwas im Busch.«
»Hier«, sagte Madame Bovary und zog ihre Uhr aus dem Rockbund, »nehmen Sie; davon können Sie die Ausgaben bestreiten.«
Aber der Händler protestierte, das sei nicht nötig; man kenne sich doch; als ob er ihr misstraue? So eine Kinderei! Sie bestand freilich darauf, wenigstens die Kette müsse er nehmen, und schon hatte Lheureux sie in der Tasche versenkt und ging, da wurde er zurückgerufen.
»Lagern Sie alles bei sich. Und den Mantel« – sie schien zu überlegen – , »den müssen Sie auch nicht herbringen; geben Sie mir bloß die Adresse des Schneiders und sagen Sie, er soll ihn für mich bereithalten.«
Im kommenden Monat wollten sie miteinander fliehen. Sie würde Yonville verlassen, wie um in Rouen Besorgungen zu machen. Rodolphe hätte dann bereits die Plätze reserviert, Pässe besorgt und sogar nach Paris geschrieben, denn sie wollten die ganze Postkutsche für sich allein bis nach Marseille, wo sie eine Kalesche kaufen würden und dann, in einem fort, weiterfahren in Richtung Genua. Sie musste dafür sorgen, dass ihr Gepäck zu Lheureux geschafft und von ihm direkt in die Hirondelle gebracht wurde, sodass niemand Argwohn schöpfte; und bei alldem war niemals die Rede von ihrem Kind. Rodolphe hütete sich, ein Wort zu verlieren; vielleicht dachte sie nicht daran.
Er wollte noch zwei Wochen Zeit, um einige Vorbereitungen abzuschließen; dann, nach acht Tagen, brauchte er noch einmal vierzehn; dann fühlte er sich krank; anschließend unternahm er eine Reise; der August ging dahin, und nach all diesen Verzögerungen beschlossen sie, es werde unwiderruflich am 4. September geschehen, einem Montag.
Endlich war es Samstag, noch achtundvierzig Stunden.
Rodolphe kam des Abends früher als sonst.
»Ist alles bereit?« fragte sie.
»Ja.«
Danach spazierten sie um ein Blumenbeet und setzten sich unweit der Terrasse auf den Mauerrand.
»Du bist traurig«, sagte Emma.
»Nein, warum?«
Und dennoch betrachtete er sie auf seltsam zärtliche Weise.
»Ist es, weil du fortgehst?« drängte sie weiter, »deine Bindungen aufgibst, dein Leben? Oh! Ich versteh dich … Aber ich, ich habe nichts auf der Welt! du bist alles für mich. Darum will ich alles sein für dich, ich will dir Familie sein, Heimat; ich will für dich sorgen, dich lieben.«
»Wie bezaubernd du bist!« sagte er und schloss sie in seine Arme.
»Wirklich?« fragte sie mit lustvollem Lachen. »Liebst du mich? Schwör’s mir!«
»Ob ich dich liebe! ob ich dich liebe! ja, ich vergöttere dich, mein Liebling!«
Der Mond, ganz rund und purpurn, zeigte sich dicht überm Erdboden, hinter den Wiesen. Rasch stieg er höher zwischen den Pappelästen, die ihn zuweilen verbargen wie ein schwarzer, löchriger Vorhang. Dann zeigte er sich in strahlendem Weiß, am leeren Himmel, den er ausleuchtete; endlich wurde er langsamer und ließ auf den Fluss einen großen Fleck niederfallen, der unzählige Sterne gebar; und dieser silbrige Glitzer schien sich hinabzuwinden bis auf den Grund, wie eine kopflose Schlange mit funkelndem Schuppenkleid. Irgendwie glich das ganze auch einem ungeheuren Kandelaber, von dem Tropfen geschmolzener Diamanten rieselten. Die laue Nacht umhüllte sie; Schwaden von Dunkelheit verdichteten das Laub. Emma, die Augen halb geschlossen, atmete in tiefen Zügen den kühlen Wind, der sich erhob. Sie sprachen nicht, denn alle beide waren viel zu versunken in ihre üppig wuchernde Träumerei. Die Zärtlichkeit früherer Tage regte sich wieder in ihren Herzen, reich und lautlos wie der dahinströmende Fluss, mit ebensoviel schwüler Trägheit wie im Duft des wilden Jasmins herüberwehte,
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