Madame Bovary
dachte an ihre Not, faßte Mut
und trat ein.
Er saß vor dem Feuer, beide Füße gegen den Kaminsims gestemmt,
und rauchte eine Pfeife.
»Mein Gott, Sie!« rief er aus und sprang rasch auf.
»Ja, ich! Rudolf! Ich komme, Sie um einen Rat zu bitten!«
Weiter brachte sie trotz aller Anstrengung nichts heraus.
»Sie haben sich nicht verändert! Sie sind
noch immer reizend.«
»So,« wehrte sie voll Bitternis ab, »das müssen traurige Reize
sein, mein Freund, da Sie sie verschmäht haben!«
Und nun begann er sein damaliges Benehmen zu erklären. Er
entschuldigte sich in halbschürigen Ausdrücken, da er etwas
Ordentliches nicht vorzubringen hatte. Emma ließ sich durch seine
Worte fangen, mehr noch durch den Klang seiner Stimme und durch
seine Gegenwart. Dies war so mächtig, daß sie sich stellte, als
schenke sie seinen Ausflüchten Glauben. Vielleicht glaubte sie ihm
auch wirklich. Er deutete ein Geheimnis an, von dem die Ehre und
das Leben eines dritten Menschen abgehangen hätte.
»Das ist ja nun gleichgültig«, sagte sie und sah ihn traurig an.
»Ich habe schwer gelitten!«
Rudolf meinte philosophisch:
»So ist das Leben!«
»Hat es wenigstens Ihnen Gutes gebracht, nach unserer Trennung?«
fragte sie.
»Ach, nichts Gutes und nichts Schlechtes!«
»Dann wäre es vielleicht besser gewesen, wenn wir damals nicht
voneinander gegangen wären?«
»Ja! Vielleicht!«
»Glaubst du das?« fragte sie, indem sie aufseufzend ihm näher
trat. »Ach Rudolf! Wenn du wüßtest! Ich habe dich sehr lieb
gehabt!«
Jetzt war sie es, die seine Hand ergriff. Eine Zeitlang saßen
sie mit verschlungenen Händen da wie damals, am Bundestage der
Landwirte. In einer sichtlichen Regung seines Stolzes kämpfte er
gegen seine eigene Rührung. Da schmiegte sich Emma an seine Brust
und sagte:
»Wie hast du nur glauben können, daß ich ohne dich leben sollte!
Ein Glück, das man besessen, vergißt man nie! Ich warganz verzweifelt! Dem Tode nahe! Ich will dir alles
erzählen, du sollst alles erfahren. Aber du! Du hast mich nicht
einmal sehen mögen!«
In der Tat war er ihr seit drei Jahren ängstlich aus dem Wege
gegangen, in jener natürlichen Feigheit, die für das starke
Geschlecht charakteristisch ist. Emma sprach weiter, unter
zierlichen Sendungen ihres Kopfes, schmeichlerischer als eine
verliebte Katze.
»Du liebst andre! Gesteh es nur! Ach, ich begreife das ja auch
und entschuldige diese anderen! Du hast sie verführt, wie du mich
verführt hast. Du bist der geborene Verführer! Hast alles, was uns
Frauen verrückt macht. Aber sag! Wollen wir von neuem beginnen? Ja?
Sieh, ich lache! Ich bin glücklich!… So rede doch!«
Sie sah entzückend aus. Eine Träne zitterte in ihrem Auge, wie
eine Wasserperle nach einem Gewitter im Kelch einer blauen
Blume.
Er zog sie auf seine Knie und strich mit der Hand liebkosend ihr
Haar, über das der letzte Sonnenstrahl wie ein goldner Pfeil
hinwegflog, funkelnd im Dämmerlicht. Sie senkte die Stirn, und er
küßte sie leise und sanft auf die Augenlider.
»Du hast geweint?« fragte er. »Warum?«
Da schluchzte sie laut auf. Rudolf hielt das für einen Ausbruch
ihrer Liebe, und da sie kein Wort sagte, nahm er ihr Schweigen für
eine letzte Scham und rief aus:
»O, verzeih mir! Du bist die einzige, die mir gefällt. Ich war
ein Tor, ein Schwächling! Ein Elender! Ich liebe dich! Ich werde
dich immer lieben! Aber was hast du? Sag es mir doch!«
Er sank ihr zu Füßen.
»So höre!… Ich bin zugrunde gerichtet, Rudolf! Du mußt mir
dreitausend Franken leihen.«
»Ja … aber….«
Er erhob sich langsam, und sein Gesicht nahm einen ernsten
Ausdruck an.
»Du mußt nämlich wissen,« fuhr sie schnell fort, »daß mein Mann
sein ganzes Vermögen einem Notar anvertraut hatte. Der ist flüchtig
geworden. Wir haben uns Geld geliehen. Die Patienten bezahlten
nicht. Übrigens ist der Nachlaßkonkurs meines Schwiegervaters noch
nicht zu Ende. Wir werden bald wieder Geld haben. Aber heute fehlen
uns dreitausend Franken. Deswegen sollen wir gepfändet werden. Und
zwar gleich, in einer Stunde! Ich baue auf deine Freundschaft, und
deshalb bin zu dir gekommen!«
»Aha!« dachte Rudolf und ward plötzlich blaß. »Also darum ist
sie gekommen!« Nach einer kleinen Weile sagte er gelassen:
»Verehrteste, soviel habe ich nicht!«
Er log nicht. Er würde ihr die Summe wohl gegeben haben, wenn er
sie da gehabt hätte, obgleich es ihm wie den meisten Menschen
unangenehm gewesen wäre, sich großmütig
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