Madame Bovary
kann, daß
ich die Seine geworden bin! Niemals! Niemals!«
Der Gedanke, Bovary könnte die Überlegenheit über sie erringen,
empörte sie. Ob sie ihm ein Geständnis machte oder nicht, jetzt
sofort, nach ein paar Stunden oder morgen: er mußte doch alles
erfahren. Und dann war die gräßliche Szene da, und sie hatte die
Zentnerlast seiner Großmut zu tragen!
Wiederum überlegte sie, ob sie nicht noch einmal zu Lheureux
gehen solle? Aber das nützte ja nichts! Oder ihrem Vater schreiben?
Dazu war es zu spät! Beinahe bereute sie es, dem Notar nicht
gefügig gewesen zu sein, – da hörte sie den Hufschlag eines Pferdes
in der Allee. Es war Karl. Er öffnete das Hoftor. Sie sah ihn: er
war weißer als Kalk.
Da lief sie eilends die Treppe hinunter und aus der Haustür
hinaus nach dem Markt. Die Frau Bürgermeister stand vor der
Kirchentür und sprach mit dem Kirchendiener. Sie beobachtete, wie
Emma in dem Hause verschwand, wo der Steuereinnehmer wohnte.
Schnell ging sie zu Frau Çaron, die ihm gegenüber in der Ecke des
Marktes wohnte, und klatschte ihr diese Neuigkeit. Die beiden
Frauen stiegen zusammen auf den Oberboden, wo sie sich, gedeckt
durch aufgehängteWäsche, so aufstellten, daß
sie bequem in Binets Dachstübchen sehen konnten.
Er war allein und saß an seiner Drehbank, gerade dabei
beschäftigt, eine völlig zwecklose Spielerei aus Holz
fertigzustellen. Im Halbdunkel seiner Werkstatt sprühte der helle
Holzstaub aus seiner Maschine hervor, wie Funkenbüschel unter den
Eisen eines galoppierenden Pferdes. Die beiden Räder schnurrten und
kreisten. Binet lächelte mit aufmerksamer Miene, den Kopf etwas
vorgebeugt. Er war sichtlich völlig versunken in sein
Schöpferglück. Gerade das Handwerksmäßige, das der Intelligenz nur
leichte Schwierigkeiten bietet, befriedigt den Menschen ungemein,
wenn es vollendet ist, denn es gibt dabei ja kein ideales
Darüberhinaus, das man ersehnen könnte.
»Ah, da ist sie!« sagte Frau Tüvache.
Infolge des Geräusches der Drehbank vermochten sie nicht zu
verstehen, was drüben gesprochen wurde. Nur einmal glaubten sie,
das Wort »Taler« zu hören, worauf Frau Caron flüsterte:
»Sie bittet ihn um Aufschub der Steuern.«
»Es scheint so«, meinte die andre.
Sie beobachteten, wie Emma in Binets Stube hin und her ging und
die Serviettenringe, die Leuchter und all seinen andern zur Schau
ausgelegten Krimskram besichtigte, während sich der Steuereinnehmer
wohlgefällig den Bart strich.
»Will sie bei ihm etwas bestellen?« fragte Frau Tüvache.
»Er verkauft doch nie etwas!«
Dann sah man, daß Binet ihr aufmerksam zuhörte. Er riß die Augen
weit auf. Offenbar verstand er sie nicht. Sie redete weiter,
eindringlich, flehend. Sie näherte sich ihm. Sie war sichtlich
erregt. Jetzt schwiegen sie beide.
»Macht sie ihm gar einen Antrag?« flüsterte Frau Tüvache. Binet
bekam einen roten Kopf. Emma erfaßte seine Hände.
»Nein, das ist doch stark!« zischelte Frau
Caron.
In der Tat mußte Emma etwas Schändliches von Binet gefordert
haben, denn dieser tapfere Veteran, der bei Dresden und Leipzig
mitgekämpft hatte und dekoriert worden war, wich plötzlich vor ihr
zurück, als ob ihn eine Natter stechen wollte, und rief aus:
»Frau Bovary, was muten Sie mir zu!«
»Solche Frauenzimmer sollte man öffentlich auspeitschen!«
eiferte Frau Tüvache.
»Wo ist sie denn mit einem Male hin?« erwiderte die andre.
Wenige Augenblicke später sahen sie Emma die Hauptstraße
hinausgehen und dann links verschwinden, wo der Weg zum Friedhof
abzweigt. Die beiden Horcherinnen erschöpften sich in allerhand
Vermutungen.
Emma lief zur alten Frau Rollet.
»Machen Sie mir das Korsett auf! Ich ersticke!«
Mit diesen Worten trat sie bei ihr ein. Dann sank sie auf das
Bett und begann zu schluchzen. Die Frau deckte sie mit einem Rocke
zu und blieb vor ihr stehen. Da Emma auf keine ihrer Fragen
antwortete, ging sie schließlich hinaus, holte ihr Spinnrad und
begann zu spinnen.
»Ach, hören Sie auf!« sagte Emma leise. Es war ihr, als höre sie
noch Binets Drehbank.
»Was mag sie nur haben?« fragte sich Frau Rollet. »Warum ist sie
hergekommen?«
Was ahnte sie von der Angst, die Frau Bovary aus ihrem Hause
gejagt hatte?
Emma lag auf dem Rücken, regungslos, mit stieren Augen, die
keinen Gegenstand deutlich sahen, so sehr sie sich mit idiotischer
Beharrlichkeit bemühte, scharf zu beobachten. Sie starrte auf die
brüchigen Stellen der Mauer, auf das armselige bißchen
Holz, das
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