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Madame Butterflys Schatten

Madame Butterflys Schatten

Titel: Madame Butterflys Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Langley
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vergangene Woche sehr nett unterhalten, während Sie mir ein Gebräu zubereitet haben, das Sie als Tee bezeichneten.«
    »Richtig. Der Engländer.«
    »Sie haben mich nur am Akzent erkannt. Das ist ziemlich traurig.«
    »Nicht am Akzent. An den vollendeten Manieren«, sagte Nancy nüchtern, ohne Koketterie.
    »Aha!«
    Leises Grollen und ein Regenschauer, der plötzlich gegen die Fenster schlug, ließen sie zum Himmel sehen.
    »Sie haben uns das englische Wetter mitgebracht, ich bin sicher, dass sich unser Klima früher besser benommen hat.«
    »Da könnten Sie recht haben. Aber ich bin nicht sicher, ob man meteorologischer Sentimentalität trauen darf: Diese endlosen strahlenden Sommer, Schneeballschlachten an Weihnachten, war das wirklich so?«
    Einen Moment war sie verwirrt: Ihre Erinnerungen an die Zeiten unbekümmerter Unschuld waren doch bestimmt wahr? Sonnige Tage am Meer, Strandpartys mit gegrillten Marshmallows, ein Schwimmer, der ihr aus der Brandung zuwinkte …
    Charles musterte die Frau an der Kaffeemaschine. Dunkelblonde Haare, eine schlichte Kurzhaarfrisur. Das Kleid in einem praktischen Braun, unvorteilhaft geschnitten. Das Make-up auf einen Hauch Lippenstift beschränkt. Diese Frau verschwendete offensichtlich kaum einen Gedanken an ihr Äußeres.
    Er bemerkte die herabgezogenen Mundwinkel, die umschatteten Augen. Den Ehering. Charles hatte nicht viel für belangloses Geplauder übrig, aber diese Frau mit dem geistesabwesenden Blick, den vernachlässigten Händen, der stillen Art zog ihn irgendwie an.
    Um das Gespräch in Gang zu halten, fragte er sie in beiläufigem Ton, ob ihr Mann bei den amerikanischen Truppen in Europa sei.
    Überrumpelt von der unerwarteten Frage, sah sie ihn an.
    »Mein Mann ist seit zehn Jahren tot.«
    Er seufzte. »Mein Gott. Tut mir leid.«
    »Warum? Woher sollten Sie das denn wissen?«
    Sie schenkte ihm ein rasches, freundliches Lächeln, bevor sie sich abwandte, um weiter Tassen und Teller wegzuräumen. Einen Augenblick zeigten ihre Mundwinkel nach oben, auch andere Muskeln bewegten sich, ihre Nase kräuselte sich niedlich. Einen flüchtigen Moment war ihr Gesicht wie verwandelt.
    Charles hatte das Gefühl, dass sie ihm für immer entgleiten würde, wenn sie auch nur einen Schritt von ihm wegtrat, und das konnte er nicht zulassen; er musste sie dazu bringen, die Unterhaltung fortzuführen, ganz egal, wie unbeholfen er sich dabei anstellte.
    »Ich heiße Charles. Charles Bowman, ich bin eine Weile hier, um mit Ihren Leuten zusammenzuarbeiten.«
    »Aha. Bowman wie Bogenschütze? Haben Ihre Vorfahren als Bogenschützen in der Schlacht von Agincourt für Heinrich den Fünften gekämpft?«
    »Um ehrlich zu sein«, sagte Charles, »waren sie Wollhändler. In einem besonders langweiligen Landstrich im Südosten von England.«
    Er sah, wie sie innehielt, sah, wie sich ihre Gesichtsmuskeln entspannten, sich beinahe zu einem Lächeln verzogen. Er überlegte kurz und redete dann auf gut Glück weiter. »Bowman nannte man den Mann, der die Wolle entwirrte. Er benutzte dazu einen Bogen – ehrlich. Erfunden haben das Verfahren die Italiener, aber dann haben wir ihnen die Idee geklaut.«
    »Wann ist das alles passiert?«
    »Ach, ziemlich spät … im dreizehnten Jahrhundert.«
    Jetzt lachte sie laut. »Stimmt. Das ist wirklich spät.«
    »Ich könnte Ihnen noch alle möglichen anderen interessanten Dinge über meine braven Vorfahren erzählen«, fuhr er eifrig fort, »zum Beispiel, wie sie die Sehne des Bogens in einem Haufen verwirrter Wolle in Schwingungen versetzten, um die Fasern zu trennen …«
    »Sie nehmen mich auf den Arm.«
    »Das ist mein voller Ernst. Auf diese Weise haben wir den feinsten und weichsten Faden gewonnen, den Sie sich nur vorstellen können.«
    Sie hatte wieder begonnen, Teller aufeinanderzustapeln, sie entglitt ihm. Er brabbelte verzweifelt weiter.
    »Das Garn, das man mit den alten Verfahren gewann, war so widerstandsfähig, dass man es dreißigtausendmal knicken konnte, ohne dass es ausfranste oder riss.« Sein Mund war schon ganz trocken. Worte, Worte, Worte, er war dabei, alles zu verderben, welche Frau hatte schon Lust, sich mit einem Pedanten über ein so prickelndes Thema wie Wolle zu unterhalten? Er kam sich vor wie ein Vollidiot, der einen Vortrag vor dem Häkelkränzchen eines Frauenvereins hielt.
    »Wir haben das Zeug exportiert, und sehen Sie sich an, was Florenz der Wolle alles zu verdanken hat, die schönste Stadt der Welt, die Kunst, die

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