Madame Butterflys Schatten
persönlichen Dingen. Er forderte die Kinder auf, Gegenstände mitzubringen und ihren Klassenkameraden etwas darüber zu erzählen. In der nächsten Stunde hatte eines der Kinder ein Autogramm von Bing Crosby dabei, ein anderes entrollte ein Stück bestickter grüner Seide, das seiner Großmutter gehörte. Neben einer Mundharmonika lag etwas, das wie ein Bonbon aussah und sich als Siegel entpuppte – hanko –, »damit kann man seinen Namen stempeln, wie eine Unterschrift«.
Ein kleines rechteckiges Siegel am Ende eines Briefs aus Nagasaki, Nancys Stimme: »Das steht für Cho-Cho. Joeys Mutter.«
Ein Mädchen brachte einen neuen, kunstvoll geflochtenen Korb mit.
»Meine Mutter hat ihn aus dem Schilfrohr gemacht, das hier wächst, und mit dem Garn von einem aufgetrennten Zwiebelsack, den sie in den Küchenabfällen gefunden hat.«
Ein Junge hielt einen winzigen aus Jade geschnitzten Affen in die Höhe.
»Netsuke.«
»Schön.«
»Nützlich«, sagte der Junge.
Und Joey begriff, dass es nicht reichte, das Wort zu kennen. Auch die Verwendung dieses Gegenstands erforderte eine Erklärung. Die Benennung von Dingen sollte das Wissen um ihre Funktion beinhalten, wie in dem Gedicht, das Nancy von ihrem englischen Freund bekommen und an ihn weitergeschickt hatte.
In dieser Stunde sprach er mit seinen Schülern über netsuke –, deren Name aus zwei Zeichen zusammengesetzt war, die »Wurzel« und »befestigen« bedeuteten –, kleine geschnitzte Figuren, die vor langer Zeit das Problem gelöst hatten, wie man persönliche Gegenstände in einem Gewand ohne Taschen sicher verwahrte.
Einer der älteren Jungen meldete sich.
»Kleine Gegenstände, zum Beispiel Münzen, wurden in Stoffbeutel oder Lackdosen gesteckt und mit einer Kordel an der Schärpe um die Taille befestigt. Diese Schärpe, obi , ist …«
»Ich weiß, was ein obi ist.«
Er nahm die Figur in die Hand, befühlte die glatte Oberfläche, erwiderte den dunklen Blick aus den Augen des Affen.
Am nächsten Tag stand ein älterer weißhaariger Mann in der Tür zum Klassenzimmer. Mr. Murakami bat um Entschuldigung, dass er den Unterricht störe, aber er müsse Joey etwas zeigen, das ihn vielleicht interessiere: eine Schnitzarbeit, so klein, dass sie mühelos in seine Faust passte.
»Schaue nichts Böses, höre nichts Böses, sprich nichts Böses – mizaru, kikazaru, iwazaru. « Er hielt ihm drei zierliche geschnitzte Äffchen entgegen. Jemand musste weitererzählt haben, dass Joey Affen mochte.
»Möglicherweise ein Wortspiel, unser Wort für Affe ist saru . Das hier ist eine armselige Kopie, die ich nach einer Schnitzerei aus dem siebzehnten Jahrhundert im Nikko-Toshogu-Schrein angefertigt habe.« Er sah sich im Raum um und sagte rasch ein paar Worte auf Japanisch. Die Kinder kicherten.
Mr. Murakami machte eine kaum merkliche Bewegung, eine angedeutete Verbeugung. »Ich habe ihnen erklärt, dass ich zu alt bin, um an ihrem Unterricht teilzunehmen. Ich sollte Sie nicht länger stören, sensei .«
Dieses Wort, mit sanfter Stimme gesprochen, hatte für Joey keine Bedeutung, erst sehr viel später lernte er die Nuancen von sensei zu unterscheiden, für das es im Englischen keine Entsprechung gab – vermutlich kam ihm das französische maître am nächsten. Nachdem an die Stelle der Unwissenheit ein zögerliches, tastendes Verständnis für die verzwickte Semantik der japanischen Sprache getreten war, erinnerte sich Joey an diesen Moment, und ihm stiegen Tränen in die Augen.
Er hatte nicht die Absicht gehabt, selbst einen persönlichen Gegenstand mitzubringen, aber nach der Stunde ertappte er sich dabei, dass er die Tasche unter seinem Bett hervorholte und darin herumkramte. Am nächsten Tag zog er einen abgewetzten Holzgegenstand aus seiner Hosentasche und legte ihn auf den Tisch im Klassenzimmer.
Während Joeys amerikanische Klassenkameraden verblüfft über das unscheinbare Spielzeug gewesen waren, gab es hier kein Erstaunen, lediglich den einen oder anderen Ausruf des Erkennens.
»Komo!«
»Sie haben ja einen Kreisel!«
Für viele seiner Schüler, wie er sie jetzt im Stillen nannte, gehörte ein solcher Kreisel zu ihrer Kindheit. Sie drängten sich um den Tisch und redeten wild durcheinander. Einer erzählte von tsukurigomai – Kreiseln mit einem Loch, die ein summendes Geräusch von sich gaben –, ein anderer von togoma aus Bambus. Sie strichen über sein ramponiertes Exemplar und lächelten.
Ein kleines Mädchen hob ihn auf und hielt ihn Joey
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