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Madame Butterflys Schatten

Madame Butterflys Schatten

Titel: Madame Butterflys Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Langley
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Blick. Er sah Joey an, dann wieder die Unterlagen.
    »Nun …«
    Joey kannte diesen Ton, ein allzu bekanntes Zeichen des Misstrauens. Der Leutnant ging zum Aktenschrank und verglich die Papiere mit Unterlagen in einem Ordner. Der Anblick eines typisch amerikanisch aussehenden Lagerinsassen brachte ihn aus der Fassung. Der Leutnant befand sich im Nachteil, und das gefiel ihm nicht.
    Der Drehstuhl ächzte unter seinem dicken Hintern, als er sich wieder hinter seinem Schreibtisch niederließ und Joey einen Fragebogen reichte, den er von einem Stapel in dem Ablagekorb nahm. Joey ließ sich Zeit und ging den Fragebogen sorgfältig Seite für Seite durch. Er merkte, dass der Leutnant immer ungeduldiger wurde, der Stuhl quietschte unter seinen Bewegungen, er wippte mit dem Fuß, trommelte mit den Fingern auf die Schreibtischplatte, während Joey den Bogen bis zur letzten Zeile las.
    »Wie lautet deine Antwort?«
    »Zunächst mal: Dieser Fragebogen ist Quatsch. Erwarten Sie wirklich, dass jemand, der noch alle fünf Sinne beisammenhat, auf diesen Blödsinn mit Ja antwortet?«
    Das schwammige Gesicht des Leutnants wechselte langsam die Farbe von Rosa zu Dunkelrot.
    »Pass auf, was du sagst, Freundchen.«
    »Warum?«, fragte Joey freundlich. »Weil Sie mich in ein stinkendes Lager sperren, wenn ich die falsche Antwort gebe, mit bewaffneten Wachen und vielleicht noch einem Stacheldraht außen rum, damit ich nicht fliehen kann, Leutnant?«
    In der Stimme des Soldaten schwang kaum verhohlener Abscheu mit.
    »Der gleiche Unruhestifter wie der Vater, dieser verfluchte Kommunist. Wir wissen Bescheid über Benjamin Franklin Pinkerton. Pinko Pinkerton. Der Marsch nach Washington. Steht alles in der Akte.«
    Die Worte trafen ihn unerwartet wie ein Schlag. Lügen über Ben in den Akten? Ben der Medaillengewinner, der Held, der vaterlandstreue Seemann. Aber natürlich war Ben auch zum Kapitol marschiert. Zusammen mit Landstreichern und Degenerierten.
    »Ja. Klar.«
    Joey bemühte sich, den Plauderton beizubehalten. »In Ihrer Akte steht sicher auch, dass er bei der Marine gedient hat? Und dass es Veteranen waren, mit denen er nach Washington marschiert ist, Leutnant? Veteranen, die für Leute wie Sie gekämpft haben, Leutnant, und die hinterher auf einmal kein Dach mehr über dem Kopf hatten. Mein Vater war wegen seines Bruders in Washington. Mein Onkel Charlie wäre selbst mitmarschiert, aber seine Überreste liegen irgendwo in Frankreich vergraben. Er wurde getötet, aber wenigstens wurde er vom Feind erschossen. Die Veteranen, die den Krieg gewonnen haben, die nach Washington marschiert sind, weil sie am Verhungern waren, diese Männer wurden von Ihresgleichen erschossen. Auf Befehl von General MacArthur. So was nennt man Ironie, Leutnant.«
    Mit wutverzerrter Stimme sagte der Mann: »Ich vermerke, dass du zweimal mit Nein geantwortet hast.«
    »Sie vermerken überhaupt nichts«, erwiderte Joey gefährlich leise. »Ich habe noch nicht unterschrieben. Ich habe Ihnen eine Frage gestellt. Sie haben sie nicht beantwortet. Sie können vermerken, dass ich darüber nachdenke.«
    »Du musst antworten!«
    »Prima! Gibt es einen Termin? Läuft die Frist für das da irgendwann ab? Zeigen Sie mir, wo steht, dass ich nicht erst mal über meine Antwort nachdenken darf. Ist mir das in unserem großartigen Land noch gestattet?«
    An der Tür blieb er stehen. »Ich gebe Ihnen Bescheid.«
    Zu gegebener Zeit würde er den Fragebogen unterschreiben. Aber es bereitete ihm ungeheure Befriedigung, den Leutnant an den Rand eines Schlaganfalls zu treiben.
    Tule Lake war zum Auffangbecken für die aufsässigen Insassen anderer Lager geworden, eine Isolierstation. Jeder Tag bot ihnen eine neue Möglichkeit, ihrer Wut Ausdruck zu verleihen: die allmorgendliche Hymne – My Country ’Tis of Thee –, einst aufrichtig, jetzt mit sarkastischer Inbrunst gesungen. Die Wut verwandelte die Baracken in ein Minenfeld, und hin und wieder ging eine der Minen hoch. Kazuo hatte mitangesehen, wie einer der Internierten von seinen Barackengenossen verprügelt wurde, weil sie ihn verdächtigten, ein Spitzel zu sein; es kam zu Zusammenstößen mit den Wachen. Und wie immer brodelte die Gerüchteküche.
    »Roosevelt hat den Kurs geändert.«
    Joey blickte von seinem Buch auf.
    »Was?«
    »Militärdienst. Wir können uns freiwillig melden.«
    »Das ist doch wieder nur so ein Gerücht …«
    »Nein, es stimmt.«
    »Wir sind keine feindlichen Ausländer mit der Einstufung 4C mehr?

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