Madame Butterflys Schatten
habe.«
Schnipp! Sie nahm das Handtuch von seinen Schultern. »Fertig.«
Joey war so damit beschäftigt gewesen, seine Lieblingsfilme zu verteidigen, dass er völlig vergessen hatte, einen Blick in den Spiegel zu werfen. Erst jetzt sah er, was für einen Schnitt sie ihm verpasst hatte: Sie hatte ihn praktisch kahl geschoren.
»Na – das – ist – wirklich – kurz.«
»Ja.«
Schroff fügte sie hinzu: »Länger haben sie mir eigentlich besser gefallen.«
»Warum dann?«
»Na ja, falls du dich freiwillig meldest, machen sie dir ohne diese niedlichen Locken das Leben nicht so schwer.«
»Nur ein Trottel würde sich freiwillig melden. Warum sollte ich das tun?«
»Klar. So ein Schlaumeier wie du, warum sollte der sich freiwillig melden?«
Joey starrte sie verblüfft an: Womit hatte er so viel Feindseligkeit verdient? Er stand auf und fragte, was er ihr schuldig sei.
»Geht aufs Haus.«
»Warum?«
»Weil mir danach ist. Übrigens, du hast doch Shiro gesucht, er ist weg. Er hat sich freiwillig gemeldet. Ein Trottel, richtig?«
Sie begann, den Boden zu fegen. Als er schon an der Tür war, sagte sie, ohne hochzublicken: »Du hast schöne Haare.«
»Meinst du die niedlichen blonden Locken, die du gerade zusammenfegst?«
»Haare wachsen nach.«
Joey unterdrückte einen Anflug von Ärger und sagte: »Ich kenne nicht einmal deinen Namen.«
»Aber ich deinen.« Sie schloss die Tür.
Kapitel 44
AN DIESEM ERSTEN Abend in der Militärkantine hatte Charles wie ein Wasserfall geredet, damit sich Nancy nicht von ihm abwandte. Wenn sie wegging, war er verloren, das wusste er, deshalb sprach er immer weiter. Bis sein Redestrom schließlich versiegte und ihm nichts mehr einfiel außer der einen Frage, die ihm eigentlich am Herzen lag: »Darf ich Sie zum Essen einladen?«
Sie sah ihn sich genauer an: Das längliche Gesicht war nicht mehr das eines Unbekannten, die braunen Augen funkelten fröhlich, der breite Mund hatte etwas überaus Sinnliches.
Er war älter als sie, schätzungsweise Ende vierzig, und er verkörperte für sie das alte England: charmant, zwanglos, ein Kavalier alter Schule. Zu ihrer größten Überraschung fand sie sich im Bett mit ihm wieder.
Vor der Ehe mit Ben hatte sie immer angenommen, sie würden »glücklich und zufrieden bis an ihr Ende« zusammenleben, nachdem sie eine richtige Märchenhochzeit gefeiert hatten: ein Brautkleid aus weißem Satin; aufgeregte, kichernde Brautjungfern, denen sie ihren Strauß zuwarf; feierliche Ansprachen; ihre Mutter, in Tränen aufgelöst; Flitterwochen in San Francisco oder auf Hawaii. Durch Joey und alles, was mit ihm zusammenhing, änderten sich die Dinge: Die Hochzeitsfeier fand im kleinen Kreis statt, die Stimmung war nüchterner, als sie es sich vorgestellt hatte. So wie der Vollzug der Ehe.
Nancy war nicht prüde, aber sie hatte immer vorgehabt, sich bis zur Ehe aufzubewahren. Dass Ben das nicht getan hatte, war zuerst ein Schock für sie gewesen und dann eine bleibende Enttäuschung. Er war vorsichtig, geradezu zaghaft, wenn er sich ihr näherte, sie spürte keine verzehrende Lust, es fehlte an Leidenschaft. Ihr Beischlaf hatte immer etwas Zurückhaltendes, es gab keine Ekstase, nur die Erfüllung ehelicher Pflichten. Und sie wurde den Gedanken nicht los, dass Ben das alles offensichtlich schon gemacht hatte – vielleicht hatte ihm die Frau aus Nagasaki sogar ein oder zwei Kniffe beigebracht.
Charles war sanft, wenn Sanftheit angebracht war, aber er war außerdem ein meisterhafter Liebhaber, und sie war eine gelehrige Schülerin.
Ihre gemeinsamen Abende begannen für gewöhnlich mit einem Drink in der Bar des Benson Hotels. Nancy trank Cocktails, eine weitere neue, überraschende Erfahrung. Als Charles sie zum ersten Mal fragte: »Was möchtest du?«, hatte sie gezögert. Sie kannte nichts außer dem gelegentlichen Glas Bourbon »aus medizinischen Gründen«. Jetzt stellte sie fest, dass sie Manhattan mochte, nur einen, in angenehmer, in schmeichelhaftes gedämpftes Licht getauchter Umgebung. Sie nippte an ihrem Drink, sie unterhielten sich, lachten. Später gingen sie für eine Stunde in die hübsche Wohnung, die er gemietet hatte, und liebten sich, keineswegs immer im Schlafzimmer. Danach besuchten sie vielleicht ein Restaurant, obwohl Charles auch gern kochte, Fish and Chips aus Rotem Schnapper machte, lernte, was man in Amerika unter einem richtigen Steak verstand.
Sie wussten beide, dass sein Aufenthalt befristet war, dass er eines Tages
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