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Madame Butterflys Schatten

Madame Butterflys Schatten

Titel: Madame Butterflys Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Langley
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jetzt noch Frostbeulen von Yasukos eisigem Blick haben.«
    Yasuko. Jetzt wusste er, wie sie hieß.
    Vor seiner Abreise hatte er das ganze Lager nach ihr abgesucht, und als sein Blick ein Stück entfernt auf eine schlanke Gestalt mit einem glänzenden Pagenkopf gefallen war, hatte er gerufen: »Hey, warte!«, und Iris hatte sich umgedreht und ihn überrascht angelächelt.
    Er blieb stehen. »Oh! Ich dachte … du wärst jemand anders. Deine Haare …«
    »Ich drehe sie nicht mehr ein.«
    »Ja.«
    »Was dachtest du denn, wer ich bin?«
    »Irgendwer.« Er zuckte mit den Schultern, aus irgendeinem seltsamen Grund widerstrebte es ihm, den Namen preiszugeben. »Ist nicht so wichtig.«
    Er ging weiter, dann drehte er sich noch einmal um und rief: »Übrigens, deine Haare sehen hübsch aus. Steht dir.«
    Der Zug ratterte weiter, Räder und Gleise komponierten ihr eigenes Lied, legten den Rhythmus fest: Oh, der Zug nach Rock Island ist ein prima Zug ; geflohene Sklaven hatten das gesungen, und in gewisser Weise war auch die Armee ein Sklavenhalter. Sie erteilte Befehle und bestand auf Gehorsam, bestrafte diejenigen, die sich unerlaubt von der Truppe entfernten, aber er hatte sich schließlich freiwillig gemeldet, oder etwa nicht? Niemand zwang ihn dazu. Das fiel doch bestimmt ins Gewicht.

Kapitel 46
    SIE SASS AN ihrem Schreibtisch vor dem Fenster – einem hellen Rechteck eisblauen Winterhimmels, wie eine frisch aufgezogene Leinwand. Die Wände aus Papiermachee und dünnem Schilfrohr rings um sie ließen den Eindruck entstehen, der Raum sei in Gras gehüllt. Geschickte Hände hatten hier eine kunstvolle Schlichtheit geschaffen, auch wenn inzwischen Zeit und Bewohner ihre Spuren an den einst hellen Wänden hinterlassen hatten.
    Vor langer Zeit hatte Suzuki Cho-Cho gescholten und sie gedrängt, in ein größeres, geräumigeres Haus zu ziehen, mit einem Garten, in einem besseren Viertel der Stadt.
    »Dann wärst du näher bei uns.«
    Damals hätte sie das Geld gehabt, das Restaurant lief gut. Sie blieb jedoch, wo sie war, in ihrem kleinen Haus über dem Hafen, so geborgen wie eine Muschel in ihrer Schale. Später, als die Zeiten schlechter wurden, als sich die Gäste das Restaurant nicht mehr leisten konnten und sie sich nicht mehr das Personal, als der lange, nicht enden wollende Krieg keine Auseinandersetzung mit China mehr war, sondern plötzlich in den Zweiten Weltkrieg mündete, war das kleine Haus wieder angemessen. In den fetten Jahren hatte sie Henry mit seiner Schwäche für die Tradition aufgezogen – »Warum lässt du keine moderne Heizung einbauen?« –, und auf seinem Gesicht war dieses nervtötende bedächtige Lächeln erschienen. Jetzt erkannte sie die Ironie ihrer Situation, wenn sie sich die Füße an dem alten Kohlebecken unter ihrem Schreibtisch wärmte.
    Auf dem Schreibtisch stand eine Schreibmaschine, aus der ein zur Hälfte mit sauberen schwarzen Buchstaben beschriebenes Blatt ragte. Sie tippte einige Worte und hielt dann inne, um auf das Meer zu blicken, ein etwas dunkleres Blau als der Himmel darüber. Seit Jahren schrieb sie nun schon diese Briefe, all die flüchtigen Gedanken, die sie in Worte hätte verwandeln können, in sichtbare Liebe. Langsam glitt das Blatt über die Walze, während sie weitertippte.
    Eines Tages, sagte sie sich, wird er das lesen, wird vielleicht antworten.
    Kanashimi – Kummer, der das Gegenteil bedeutet …
    Natürlich hatte er ihr nie irgendwelchen Kummer bereitet, das war ein liebevoller Scherz. Er war Sachio, Joy, ihre Freude, es war sein Vater gewesen, der den Namen falsch verstanden und ihn Joey genannt hatte.
    Sie zog das Blatt aus der Maschine und legte es zu den anderen in die metallene Schatulle auf dem Schreibtisch.
    Sie konnte das Meeresufer sehen und die Straße, die sich den Hügel heraufwand, aus dem Blickfeld verschwand, wieder auftauchte. Ihre Hände ruhten in ihrem Schoß, die Handgelenke waren so schmal wie die eines jungen Mädchens, aber mit ihren achtunddreißig Jahren musste sie sich mit den feinen Falten, den dunklen Flecken auf der Haut, den hervortretenden Gelenken an den mageren Fingern abfinden. Ihre Ringe hatte sie schon vor langer Zeit verkauft – wie wenig ein Diamant doch einbrachte, wenn der Markt zur falschen Seite ausschlug. Jetzt trug sie keinen Schmuck mehr an den Händen, so wie damals, als sie jung gewesen war. Jung. Sie strich über die feine Narbe an ihrem Hals.
    Sie erinnerte sich, wie sie an diesem Fenster gestanden hatte, als ein

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