Madame Butterflys Schatten
Badewanne, die Überreste von Louis-XV-Stühlen, zerfetzte Polster, einen geschnitzten Tisch, Bruchstücke von Marmorstatuen – alles, was sich dazu verwenden ließ, einen griffigen Untergrund für die Räder von Militärfahrzeugen zu schaffen.
Schlingernd und schlitternd fuhren sie weiter. In einem Dorf, dessen Häuser die Straße säumten wie eine halb eingefallene Mauer, hielten sie an und legten eine kurze Pause ein. Die meisten Einwohner hatten den Ort verlassen, aber am Dorfbrunnen neben der Straße standen ein paar Frauen und wuschen Wäsche. Mit stoischer, bäuerlicher Duldsamkeit beugten sie sich über das Becken, schrubbten und wrangen Wäschestücke aus, ohne den bedrohlichen Fahrzeugen und Soldaten Beachtung zu schenken. Als eine von ihnen sich aufrichtete und den Rücken streckte, fing Joe ihren Blick auf und deutete einen Salut an, um seine freundliche Gesinnung zu demonstrieren.
Der Motor des Lastwagens an der Spitze des Zugs sprang keuchend an. Als sich der Konvoi wieder in Bewegung setzte, wühlten die durchdrehenden Räder den Matsch auf und bespritzten die Frauen und ihre Wäsche, und sie fluchten leise vor sich hin.
Joe hätte ihnen gern eine Entschuldigung zugerufen. Aber er lernte gerade, dass Soldaten darauf gedrillt wurden, den Evolutionsprozess umzukehren: Sie sollten die Regeln eines zivilisierten Benehmens vergessen, wieder zu Wilden werden, um ihre Seele vor den Gefahren von Gefühlen zu schützen, so wie sie ihren Körper vor Angriffen schützten. Im Krieg blieb keine Zeit für Entschuldigungen.
Hier und da war noch zu erkennen, wie das Land vor dem Krieg ausgesehen haben musste: steinerne Bauernhäuser auf den Hügelkuppen, grasendes Vieh auf den Weiden, schlanke Zypressen, die wie Speere in einen blauen Himmel ragten. Üppige Weizenfelder. Olivenbäume voll silberner Blätter – von der Sonne geprägte Münzen. Der stille Süden. In diesen Momenten des Atemanhaltens vor einem Angriff war kurze Zeit nichts weiter zu hören als das Vogelgezwitscher und das Rauschen eines Flusses, der über glatte Felsen sprang, in einer grünen und gelben Landschaft, in der Mohnblumen das hohe Gras mit leuchtend roten Farbtupfern sprenkelten. Dann erschienen Panzer und Geschütze am Horizont und zerrissen die Stille, ein schwefliger Nebel verdunkelte den blauen Himmel, das Grün und das Gelb wurden zu einer Palette schlammiger Brauntöne zermalmt und Bauernhäuser in Ruinen verwandelt.
Mit eingezogenen Schultern und gebeugten Knien rennen sie im Zickzack über das offene Gelände zwischen Wald und Fluss, sie springen, ducken sich, lassen sich zu Boden fallen, wenn eine Granate neben ihnen einschlägt, machen den Standort des Schützen aus, erwidern das Feuer. Dann taumeln sie weiter, die Luft erfüllt von Geschützfeuer, Verwirrung, dem Aufschrei eines sterbenden Mannes. Ganz in seiner Nähe vernimmt Joe den gedämpften Einschlag einer Granate, und für den Bruchteil einer Sekunde scheint die Zeit stillzustehen wie bei einem Autounfall, den man in Zeitlupe erlebt, bevor der Aufprall erfolgt: das Donnern, das Kreischen von Metall, der Geruch und die Geräusche des Kampfes.
Kapitel 49
NIEMAND HATTE IHM gesagt, dass es nicht der Feind war, vor dem man Angst haben musste – es waren die Generäle. Die eigenen Befehlshaber. Den Feind konnte man töten. Die Generäle sagten einem, was man zu tun hatte, und man gehorchte ihnen. Die Generäle schickten einen in den Tod.
Und es geschieht hier und jetzt.
Die Befehle sind eindeutig: den nächsten Abschnitt sichern, den nächsten Hügel, die Artillerie zum Schweigen bringen, den Fluss überqueren, reißend, trügerisch. Die Artillerie zum Schweigen bringen? Die Deutschen haben sich oberhalb der Uferböschung verschanzt, der ideale Platz, um Männer abzuschießen, die in dem wahnsinnigen Unterfangen, einen eisigen Strom zu durchqueren, bis zu den Achselhöhlen im Wasser stehen. Blind von der Gischt schlittert er die Böschung hinunter, kämpft gegen die Strömung, vertraut sich den tosenden Fluten an.
Wie kann einen etwas, das so weich, so formlos ist wie Wasser, mit der Wucht eines Schlags treffen? Wasser kämpft hinterhältig, bösartig, ohne Regeln. In diesem Moment begreift er, dass er den Kampf nicht gewinnen wird.
Das grünliche Wasser füllt seine Lunge, der Fluss umschließt ihn, der Kampf ist vorbei, und er versinkt in der Finsternis, die Kälte betäubt jeden Schmerz. Er verspürt eine unendliche Traurigkeit, Bedauern. Dann wird er aus der
Weitere Kostenlose Bücher