Madame Butterflys Schatten
Wasser tanzte. Amerika, Joey! Es wird dir gefallen!
Der Kapitän grüßte ihn im Vorbeigehen und ließ sich von dem blonden Bürstenhaarschnitt zu der Frage verleiten, wo Joe herkomme.
»Portland, Oregon, Sir.«
Der Kapitän nickte. »Das Rosenfest, stimmt’s? Ein unvergesslicher Anblick, habe ich mir sagen lassen.«
Wenn Joe hinzugefügt hätte, dass er in Japan auf die Welt gekommen war, in Nagasaki, dann hätte ihm Kapitän Jensen in seinem gedehnten Südstaatentonfall erzählen können, dass er vor vielen Jahren mal ein paar Tage in dieser Stadt verbracht hatte. Aber Joe war jetzt Eigentum der Regierung, auf dem Weg nach Italien, die lang gezogene Inselkette, die er einst auf einer Karte studiert hatte, gehörte einem anderen Kapitel seines Lebens an, deshalb sagte er nichts, und deshalb erzählte ihm der Kapitän auch nichts von dem Tag, an dem er neben seinem vorgesetzten Offizier den Weg zu einem Haus mit Papierwänden hoch über dem Hafen von Nagasaki erklommen hatte und dort einer Frau namens Butterfly und einem kleinen Jungen mit blonden Locken begegnet war.
»Viel Glück, Soldat«, sagte er und ging weiter.
Jeder neue Ort bedeutete für Joe Ablenkung, die Möglichkeit zur Flucht. Allerdings wusste er noch nicht genau, wovor er floh. Jetzt ging es erst einmal darum, das Land, das vor ihm lag, zu erforschen; ein Gedanke, der ihn in Hochstimmung versetzte, auch wenn ihm Afrika zunächst als merkwürdiger Bestimmungsort für ein Regiment auf dem Weg nach Europa erschienen war.
Der Name Algerien war ihm vertraut: Er kam in dem einen oder anderen Lehrbuch vor – ein Volk, das immer wieder von Invasoren heimgesucht worden war und hartnäckig an seiner Kultur festhielt. Lief nicht letzten Endes alles auf Kultur hinaus, den Tausch von Symbolen und Geschenken, die Sprache, die Form religiöser Verehrung, die Dorfältesten gegen die Eindringlinge?
Als das Regiment von Bord ging, standen die Einheimischen unten am Kai und sahen zu, Araber und Franzosen. Möglicherweise eher Araber oder Franzosen?
Amerikaner und Japaner … Amerikaner oder Japaner: Was sollte man geltend machen?
Über die Gangway des alten Schiffes, das früher Bananen transportiert hatte und jetzt junge Männer in Khakiuniformen in einem Kriegsgebiet ablud, betrat Joey, jetzt GI Joe, Oran, ein sonnendurchglühtes sandiges Chaos, überragt von den Wällen einer spanischen Festung.
»Phönizier, Römer, Vandalen, dieser Ort hat zweifellos mehr als genug Schlachten erlebt. Kannst du dir vorstellen, dass es hier mal Städte gab, die im Wettstreit mit Rom lagen? Heute ist Algerien nichts weiter als ein abstrakter Name auf der politischen Landkarte.«
Sie gingen an Land, auf Feindseligkeiten gefasst. Sie befanden sich hier am äußersten Rand Afrikas, der letzte Schritt auf dem Weg in den Krieg in Europa. Aber Algerien hatte zu Frankreich gehört, Bündnisse hatten sich verschoben, der Tod lauerte in Schussweite. Waren ihnen die Araber freundlich gesinnt?
»Was sie wohl über uns denken?«, überlegte Joe laut.
»Das werden wir schon merken.«
Der Luxus der Ungewissheit war den neuen Soldaten nicht lange vergönnt: Man hatte sie aus ihrem von Stacheldraht umgebenen Gefängnis geholt, weg von Wachttürmen und bewaffneten Wächtern, und auf einen Kreuzzug geschickt. Die schmissigen Ansprachen ließen keinen Zweifel: Sie setzten Leib und Leben aufs Spiel, um die freie Welt gegen die faschistische Bedrohung zu verteidigen. In diesem Kampf – das wussten sie, weil man es ihnen immer wieder eintrichterte – ging es um Demokratie und Freiheit, um das Verbrechen, Menschen zu deportieren und in Konzentrationslager zu stecken, nur weil in ihren Papieren ein bestimmtes Wort stand. Wie viel Ironie auf einmal war eigentlich möglich?
Sie sollten den Begleitschutz für Nachschubzüge von Casablanca nach Tunis übernehmen, aber bevor sie herausfinden konnten, wie es um die Freundlichkeit der Algerier tatsächlich bestellt war, trafen neue Befehle ein. Ein neues Schiff, eine neue Überfahrt, ein neues Land.
Während Otishi an Joes Seite von einem Kai zum nächsten stapfte, beklagte er sich darüber, dass es keine Marschlieder für Nisei gab: » Normale GIs singen beim Marschieren, swingende Rhythmen, tolle Melodien …«
Carusos weiche Stimme erfüllte den Äther, und die jungen Männer stimmten aus voller Kehle ein, versicherten der Welt, die Yankees kämen, die Jungs wären schon unterwegs.
Joe sang versuchsweise: »Die Halb- Japaner, Halb- Yankees
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