Madame Butterflys Schatten
Seemann in seiner weißen Uniform den Hügel heraufgekommen war. Während sie einst nur beobachtet und voll Angst dem Unbekannten entgegengesehen hatte, wagte sie es jetzt, von einer unbekannten Zukunft zu träumen, einer lebenslang aufgeschobenen Hoffnung.
Wenn der Krieg vorbei war, ganz egal, welche Seite ihn gewann, dann würden Sieger und Besiegte vielleicht ein Abkommen treffen, das taten sie immer, und dann würde vielleicht ein zweiter Pinkerton den Weg zu ihr finden. Sie würde die Schatulle mit den Briefen auf den niedrigen Tisch stellen, auf dem einst ein Kreisel mit gelben und roten Streifen getanzt hatte, und dann würde sie ihn allein lassen, damit er sich durch ihr Leben lesen konnte.
Kapitel 47
DER GANG DURCH die Hölle war nicht das Schlimmste; das kam später, als er sich erinnerte. Niemand hatte ihn davor gewarnt, welch eine hartnäckige Kriegsverletzung die Erinnerung sein konnte.
Anfangs betrachtete Joey sich als Zivilisten in Uniform. Er hielt sich für ein unvollkommenes Exemplar der Gattung, hatte jedoch gewisse Zweifel, dass sich der Begriff wabi-sabi so weit dehnen ließ, dass er auch einen unzulänglichen Krieger einschloss.
Allmählich passte er sich an, verwandelte sich, wurde zu einem hybriden Organismus: einem Soldaten, einer Science-Fiction-Figur, halb Mensch, halb Maschine. Die Maschine gehorchte Befehlen, tötete, ohne etwas dabei zu empfinden, kämpfte weiter, selbst wenn sie beschädigt war. Der Mensch empfand Angst, Reue, Schmerz. Der Mensch blutete. Oft starb er. Aber zuvor ging er auf Reisen, überquerte mit seinem Regiment den Ozean, zusammengequetscht wie Sardinen in einer übergroßen Büchse, von einem Kontinent zum anderen.
Männer in Uniform ähneln einander wie frisch vom Fließband kommende Autos. Sie sind jetzt nicht mehr Tom, Dick oder Harry, sondern Teil eines Regiments, ein Rang, eine Nummer. Die Folge davon, beabsichtigt oder nicht, ist der Verlust von Identität, der Verlust von Individualität. Der Helm, der khakifarbene Kampfanzug, der Tornister, die Stiefel lassen körperliche Unterschiede verschwimmen und schaffen ein einheitliches Bild: GI Joe. Aber diese ganz bestimmte Einheit Soldaten hatte mehr gemeinsam als nur die Uniform. Bei der Einschiffung winkte sie ein erschöpfter Sergeant an Bord, ohne den Blick zu heben: »Das Japs-Bataillon, richtig?«
Joe verspürte flüchtig den Drang, ihm zu widersprechen, ihn eigensinnig, haarspalterisch, besserwisserisch zu korrigieren: Falsch , wir sind Nisei, okay, Sarge? Die Antwort konnte er sich denken: »Was zum Teufel soll das sein? Irgendein besserer Name für Schlitzaugen?« Außerdem hatte der Sergeant recht: Sie waren keine Weißen, sie waren abgesondert, sie waren »das Japs-Bataillon«. Die Vermischung hatte einige Zeit gedauert: Er hatte miterlebt, wie Festlandbewohner und Hawaiianer zusammengewürfelt wurden, beide Seiten voller Argwohn, die Hawaiianer fühlten sich durch vermeintliche Beleidigungen seitens der angepassten Festlandsbewohner verletzt, die zurückhaltenden Städter vom Festland wiederum ärgerten sich über die lauten Insulaner, die ein amerikanisches Kauderwelsch sprachen, viel lachten, Lieder sangen, Ukulele spielten und zum Spaß oder aus Trotz ihre alten Baströcke anzogen. Unter den gegebenen Umständen hielten die Festlandsbewohner Spaß für fehl am Platz.
Das Bataillon marschierte an Bord, gedrillt, ununterscheidbar. Viele trugen Brillen. Seine Wahlbrüder, obwohl er auch hier aus der Menge ragte, wieder einmal der falsche Mann am falschen Ort. Er entdeckte ein bekanntes Gesicht aus Tule Lake, einen jungen Mann, den er oft mit einem Stift in der Hand in irgendeiner Ecke hatte kauern sehen, lesend oder schreibend, ohne etwas von seiner Umgebung mitzubekommen.
»Du bist … Otishi, stimmt’s? Du hattest immer die Nase in einem Buch stecken.«
»Ja. Ich konnte in Berkeley meine Doktorarbeit nicht fertigschreiben und wollte es im Lager nachholen …«
Wie bringt man Gott zum Lachen …
Otishi sah sich um. »Ich schätze mal, wir sind befördert worden. Von der Gelben Gefahr zu Soldaten im Dienst von Onkel Sam: Japsen, aber unsere Japsen.«
Während der Überfahrt gab es Momente, in denen Joe an der Reling lehnte, zusah, wie im Mondlicht der Schaum auf den dunklen Wellen das Kielwasser in eine silbern schimmernde Spitzenschleppe verwandelte, und sich an eine andere Schiffsreise erinnerte, an ein Kind, das Delfine beobachtete, und an ein magisches grünes Licht, das auf dem
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