Madame Butterflys Schatten
hielt seinen Fuß an den des toten Soldaten, ging in die Hocke und löste die Schnürsenkel aus festem Zwirn. Die Socken in den Stiefeln des toten Mannes waren trocken, was für ein Luxus. Runter mit dem nassen Zeug, rein in die Socken und Stiefel des Deutschen. Sie umschlossen seine Füße wie eine dicke zweite Haut, gaben schützenden Halt. Er empfand keine Scham, war dem Toten, den er soeben beraubt hatte, einfach nur dankbar.
Er rappelte sich wieder auf und fiel in Laufschritt, um die anderen einzuholen, wobei er mit seinen trockenen Zehen in den Stiefeln wackelte.
An Nancy schrieb er: Ich kann dir nicht sagen, wo wir sind, genauer gesagt, weiß ich nicht, wo wir sind. Der Feind weiß es leider … Es regnet. Immer regnet es …
Hinterher stellt er Berechnungen an: Wie lange dauert es, eine Stadt dem Erdboden gleichzumachen, wie viele Bomben braucht man, um ein Kloster zu zerstören, um fünfzigtausend Mann zu verlieren und am Ende nichts gewonnen zu haben außer der Erkenntnis, dass die ganze Sache von Anfang an unnötig war? Zum Zeitpunkt des Geschehens existiert keine Zeit, nur der blinde Reflex, dem Befehl zu gehorchen. Cassino wird in Schutt und Asche gelegt, und hoch über sich sieht Joe fliehende Menschen, während sich das Kloster in eine Flut aus einstürzenden Mauern verwandelt, eine Steinkaskade, die sich über die Truppen am Fuß des Berges ergießt. Erst später, als deutsche Fallschirmjäger vom Himmel fallen, um die leere Hülle in Besitz zu nehmen, wird die Absurdität der Aktion klar: Sie haben es geschafft, eine heilige Stätte, die einigen hundert Zivilisten Schutz bot, in die uneinnehmbare Festung zu verwandeln, für die sie die Generäle gehalten hatten.
»Wer diesen Krieg auch gewinnt«, erklärte Otishi, »eines Tages wird das hier in einem Geschichtsbuch stehen.«
»Du könntest es schreiben.«
»Soll das ein Witz sein? Das ist den Generälen vorbehalten.«
Die Generäle geben Befehle. Junge Soldaten befolgen sie, werfen sich einer Geschützsalve nach der anderen entgegen. Die Akronyme vervielfältigen sich. Jeder Tag bringt eine neue SNAFU. Situation normal, alles furchtbar. Dazu FUBAR: Situation furchtbar beschissen, alles rettungslos. Cassino war FUBAR. Die Geschichten werden von Bataillon zu Bataillon weitergegeben, überqueren Schlachtfelder, verknüpfen verstreute Regimenter, jede mit ihrer eigenen Variante der Katastrophe, ihren eigenen Schimpfnamen für die Generäle, fantasievolle Beleidigungen wachsen zu einer göttlichen, vielsprachigen Litanei von Flüchen an. Gurkhas, Polen, Aussies, Tommies, Yankees – sie alle haben einen eigenen Begriff für die hochdekorierten Arschlöcher, die Männer, die die Memoiren verfassen, die Schweine.
Das Schwein – kisama – der Nisei ist Mark Clark, der den falschen Fluss und den falschen Tag zum Überqueren aussucht, Männer in den Tod schickt, im Lazarettzelt einem GI einen Hieb versetzt, weil bei ihm keine Schussverletzungen zu erkennen sind.
»Womit haben wir diesen Blödmann bloß verdient?«, hört Joe den GI murmeln, der mit dem Gesicht nach unten im Schützenloch neben ihm liegt.
Halb blind vom Schlamm kriechen sie aus ihren Schützenlöchern, rücken weiter vor. Unbeholfen läuft Joe über einen merkwürdig weichen Untergrund, stolpert und blickt nach unten, stellt fest, dass er auf den zerfetzten Körpern der GIs aus dem Glied vor ihm herumtrampelt. Es ist das erste Mal, wenn auch nicht das letzte, dass ihm übel wird. Vornübergebeugt, bittere Galle im Mund, übergibt er sich, während er mit gekrümmten Knien, die toten Männer unter seinen Füßen, weiterläuft.
Aus den aufgerissenen Tornistern der Toten sind Fotos, einzelne Socken, Bibeln, Rasierklingen, Briefe von zu Hause gefallen, liegen um sie herum verstreut wie Opfergaben und werden von dem unbarmherzigen Regen in die aufgeweichte Erde gedrückt.
Welche Strecke haben sie zurückgelegt? Einen Kilometer? Ein paar Meter? Zentimeter? Wie lange würden sie brauchen, um den nächsten Fluss zu überqueren, vor, zurück, den Feind ins Visier nehmend, seinem Feuer ausweichend, während sie durch das reißende Wasser waten? Niemand wusste oder wollte wissen, wie weit es bis zum nächsten Hügel war – nur wie lange es dauern würde, ihn einzunehmen.
In dieser oft steilen Landschaft waren Fahrzeuge nutzlos. Maultiere wurden herbeigeschafft, um Nahrung, Wasser, Geschütze, Munition, Verwundete zu transportieren. Die Toten. Während die Generäle Befehle erteilten,
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