Madame Butterflys Schatten
holpernd, schlängeln sich die Jeeps der Besatzer in rascher Fahrt durch das Gewühl. Die Truppen sehen erschreckend fröhlich, sauber und gesund aus.
Ein Stück weiter stehen leere, ausgebrannte Fabriken, aus ihren geborstenen Schornsteinen steigt kein Rauch mehr empor. Mit einer Mischung aus Freude und Erstaunen entdeckt Joe am Horizont den Fujiyama, purpur-gelb wie eine noch unreife Pflaume, einen Schal aus Wolken um die Spitze geschlungen, und er erinnert sich an die Horishige-Holzschnitte, die er in Mr. Murakamis Baracke studiert hat. Dieser Anblick wird der Stadt erst seit Kurzem zuteil: Vor der Bombardierung lag der Fujiyama hinter hohen Gebäuden verborgen.
Da es keine Straßenlaternen mehr gibt, tauchen bei Einbruch der Dunkelheit die Azetylenlampen der Stände die Gesichter der Passanten in ein geisterhaftes Licht, die Scheinwerfer der Besatzerautos lassen im Vorbeifahren Schatten über die Wände huschen, so wie die Autos damals, wenn Joey auf der Treppe vor dem Haus seiner Großmutter saß und den Landstreichern zusah, die vorbeitrotteten und dabei von ihren eigenen Schatten überholt wurden.
Dort, wo an der Ginza, Tokios Hauptgeschäfts- und Vergnügungsstraße, früher Silbermünzen geprägt wurden, stehen jetzt Hotdog-Stände, geführt von der 8. Armee für die 8. Armee. Die Einheimischen sehen schweigend zu, wie die GIs nach Hamburgern und orangefarbenen Frankfurter Würstchen in langen Brötchen greifen. Sie betteln nicht, sie stehen einfach nur da und sehen zu. Das ist ihre Stadt, aber der Hotdog-Stand ist ein Außenposten Amerikas: Japsen werden hier nicht bedient.
Joe hat bereits mitbekommen, dass er nicht einfach etwas zu essen kaufen und verschenken darf: Man darf nichts Unberührtes weitergeben, vorher muss er wenigstens einmal abgebissen haben, damit der Hotdog ein »übrig gebliebener Rest« wird. Dieser Mangel an Einfühlungsvermögen stößt ihn ab, und er findet eine Möglichkeit, die Vorschrift zu umgehen: Er kauft einen Hotdog und bricht ihn in der Mitte auseinander, eine Hälfte reicht er einem grauhaarigen Mann, die andere der Frau neben ihm.
»Tsumaranaimono desuga.«
Die traditionelle Wendung erscheint kaum angemessen: Die »unbedeutende Sache«, die er sie bittet anzunehmen, könnte das Einzige sein, was sie heute zu essen bekommen, aber sie nehmen sie stumm entgegen und neigen würdevoll den Kopf, um ihren Dank zum Ausdruck zu bringen.
Jeder wusste, wer der für die Besatzung Verantwortliche war, das Bild war um die Welt gegangen: der groß gewachsene US-General, entspannt, die Hände in die Hüften gestemmt, den geschlagenen Kaiser Hirohito, mit leerem Blick und steif wie eine Puppe, um Haupteslänge überragend. Ein Gott, geschlagen von einem g aijin : MacArthur.
Nicht jeder erkannte die Bedeutung der beiden Flaggen bei der Unterzeichnung der Kapitulation – ebenfalls auf einem Foto festgehalten. Neben dem Sternenbanner stand die Flagge, die Commodore Perry gehisst hatte, als er 1853 in den Hafen von Edo eingelaufen war und die Japaner aufgefordert hatte, Handel mit dem Westen zu treiben – wenn ihnen ihr Leben lieb war. Hier ging es nicht zuletzt um das Ego: Der Oberste Befehlshaber der Alliierten Streitkräfte ließ nicht nur eine alte Flagge wehen. Perry war sein Bruder im Geiste.
Auch bei Joe kam die Familie ins Spiel: Es entbehrte nicht einer gewissen Ironie, dass der Held der Stunde zugleich ein Mörder war, der Mann, der die Verantwortung für den Tod seines Vaters trug. MacArthurs Befehl an die Truppen in Washington hatte Ben Pinkerton auf den Grund des Flusses sinken lassen. Hier hatte er den Kaiser in die Knie gezwungen und sich den Mantel eines Gottes umgehängt, um die Nation neu zu erschaffen.
Die Jeeps rumpeln vorbei, die GIs sehen einen blonden Haarschopf und winken Joe zu. In Italien, in einer Nacht, in der sie ein Schlammloch und eine Plane miteinander teilten, hatte Otishi ihm erzählt, dass einem mit Sicherheit ein Bekannter über den Weg lief, wenn man zwanzig Minuten lang an einer bestimmten Ecke der Ginza stand. Sie hatten einen Pakt geschlossen, besiegelt mit einem halb geschmolzenen Hershey-Riegel, dass sie diese Theorie eines Tages in der Praxis überprüfen würden. Wie bringt man Gott zum Lachen?
Eine Stimme hinter ihm sagt: »Sieh einer an, wen haben wir denn da? Den Jungen mit den schönen Haaren.«
Sie trägt etwas, das wie eine Art Uniform aussieht, ihre Augen sind hinter einer dunklen Brille verborgen, ihr glänzendes ebenholzfarbenes
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