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Madame Butterflys Schatten

Madame Butterflys Schatten

Titel: Madame Butterflys Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Langley
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gefragt, ob der Präsident vielleicht etwas weiß, das wir nicht wissen.«
    »Tja nun, ›zügellos‹. Nennst du den Ausbau einer Autoreparaturwerkstatt zügellos? Ich nicht. Die Bank hat sich die Bücher angesehen. Es ist eine sichere Sache, die sich in fünf Jahren bezahlt gemacht haben wird. Jetzt ist die richtige Zeit, um zu expandieren, Liebling.«
    Immer, wenn sie später an diese Entscheidung dachten, wiederholte er ihr mit düsterer Miene den alten Witz ihres Vaters: »Wie bringt man Gott zum Lachen? Erzähl ihm deine Pläne!«
    Anfangs schien sie das Problem nichts anzugehen: Es war etwas, das nur die Börsenmagnaten betraf. Der Aktienmarkt würde ein, zwei Wochen kräftig schwanken, aber das Alltagsleben musste schließlich weitergehen, und dazu gehörten nun einmal auch die kleinen Geschäfte und Firmen. Die großen Zeitungen verbreiteten Optimismus, und auch die Lokalblätter hatten nur beruhigende Nachrichten für ihre Leser. Pinkerton gewöhnte es sich Nancys wegen an, die zuversichtlichen Schlagzeilen laut vorzulesen.
    »Hör mal, was Irving Fisher in der New York Times schreibt: ›Die Börsenkurse mögen fallen, aber das heißt noch lange nicht, dass es einen Börsenkrach gibt.‹ Der Mann ist einer der führenden Wirtschaftsleute, der muss es schließlich wissen. Hier ist noch einer.«
    Aber plötzlich war die Wall Street kein ferner Ort mehr, der im Wirtschaftsteil der Zeitung zu finden war, sie breitete sich auf Schienen und über Telegrafendrähte übers ganze Land aus. Auf einmal befand sich die Wall Street in der eigenen Stadt, direkt nebenan, sie klopfte nachts gegen die Scheibe, wenn Pinkerton sich in seine Decke wickelte und an die Zeiten dachte, in denen er noch gut schlafen konnte.
    »Dad? Wo hat es eigentlich gekracht?«, fragte Joey. »Der Vater von einem der Kinder in der Schule sagt, dass die Börse zusammengekracht ist.«
    »Das ist nur Gerede. Es ist gar nichts zusammengekracht.«
    Und er las vor, was Arthur Reynolds, der Präsident der Continental Illinois Bank of Chicago, gesagt hatte. »Er sagt, dass unsere Wirtschaft kaum davon betroffen sein wird.«
    Das war am 24. Oktober. Fünf Tage später fiel der Dow-Jones-Index um 11,73 Prozent.
    »Ben?«, fragte Nancy am Abend. »Hat das Auswirkungen auf uns?«
    »Wertpapiere und Aktien? Ich wüsste nicht, warum. Wir spekulieren schließlich nicht an der Börse.«
    Wer die Familie kannte, sagte, es sei eigentlich schon immer klar gewesen, dass auf Ben Pinkerton goldene Zeiten warteten. In der Highschool und auf dem College war er dann auch tatsächlich ein Schwimmass gewesen, so glitzernd wie das Wasser, dem er seine Preise zu verdanken hatte. Bei der Marine glänzte er mit den Messingknöpfen an seiner weißen Uniform um die Wette. Als er dann die Automobilwerkstatt eröffnete – eine der ersten in der Stadt –, strahlte er im Glanz von blank poliertem Stahl und Lackfarbe. Mit dem Geschäft wuchs auch er.
    Aber jetzt verblasste er, das Gold wurde matt wie lange nicht geputztes Messing.
    Es schien nichts Dringendes zu sein, als die Bank anrief. Ob Mr. Pinkerton bei Gelegenheit vorbeischauen könne? Mr. Daniels würde sich gerne mit ihm unterhalten.
    Die Unterhaltung fiel offizieller aus, als er gedacht hatte. Nicht von Anfang an, der stets freundliche und hilfsbereite Gerry Daniels war auch an diesem Tag freundlich:
    »Wie geht es Nancy? Und dem Jungen? … Das freut mich, netter kleiner Kerl …« Aber als er dann auf die Wirtschaftslage zu sprechen kam, die Probleme, vor denen die Regierung stand, schwappten Worte wie Vertragsaufhebung, Preisverfall und Krise über seinen Schreibtisch. Er sah Ben traurig an.
    »Einige Bankhäuser stehen bereits vor dem Aus, Ben. Schlecht mit dem Geld von Anlegern gewirtschaftet.«
    »Na, hören Sie, Sie wollen mir doch nicht etwa erzählen, dass Banken pleitegehen! Soll ich vielleicht Mitleid mit den Reichen haben?« Ben lachte. Daniels nicht.
    »Es geht hier nicht nur um die Reichen, wir sitzen alle im selben Boot. Die Zeiten sind schwierig, das Geld ist jetzt überall knapp.«
    »Was wollen Sie damit sagen?«
    Daniels rückte Tintenfass, Löscher und eine gerahmte Fotografie seiner Frau auf dem Schreibtisch zurecht. Er sah auf und lächelte, immer noch freundlich, aber plötzlich nicht mehr so hilfsbereit.
    »Der Kredit, Ben. Die Rückzahlung ist fällig.«
    »Ach, kommen Sie, das ist doch nicht das erste Mal, dass es auf und ab geht. Ich werd’s schon schaffen, dem Automobil gehört die

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