Madame Butterflys Schatten
Madame Butterfly. Überraschung. Hab’ dir was mitgebracht.«
»Ah! Cloisonné!«, hatte sie gerufen, was Pinkerton nicht verstand und für das japanische Wort für danke hielt. Sie hatte ihm das Armband hingehalten, damit er es an ihrem schmalen Handgelenk befestigte. Dann hatte sie ihn auf den Futon gezogen.
Er starrte auf die Straße hinunter, auf die vereinzelten Lichter, die Schatten, die Häuser gegenüber, von denen eins wie das andere aussah. Kleine Unterschiede gab es natürlich. Die Schaukel auf der Veranda eines der Häuser quietschte wie eine Zikade, wenn sie sich im Wind bewegte, vor einem anderen ragte ein Baum in die Höhe, den die Nachbarn für zu groß hielten, eines Tages würde er bestimmt bei einem Sturm umfallen. Die Leute nebenan hatten einen Hund, der dauernd bellte; Ben erklärte dazu unwirsch, eine Familie besitze den Hund, aber alle hätten am Gebell teil. Ein Stück die Straße hinunter hatten die neuen Bewohner die Haustür gelb gestrichen. Er konnte sich nicht vorstellen, was jemand an einer gelben Haustür fand. Es war eine beunruhigende Farbe, eine Gewitterfarbe, eine Kopfwehfarbe. Er spürte plötzlich, dass er Kopfweh bekam, und machte sich auf den Weg in die Küche.
Das Holzgeländer fühlte sich glatt an. Von den Teppichen auf dem Boden stieg der Geruch warmer Wolle auf, nicht unangenehm, wenn auch irgendwie abgestanden, schwer. Durch die Fenster fiel das Licht schräg auf die Wände. Die Dunkelheit war weich; sie strich an seiner Haut entlang, und er bewegte sich wie durch Wasser durch sie hindurch. Wenn er den Kopf hob, würde er die Oberfläche durchstoßen und die Luft dort oben atmen, nur gab es hier keine Oberfläche, die Dunkelheit füllte den Raum bis zur Decke aus, und er war ein Ertrunkener, der auf den Grund gesunken war.
Das Bild erschreckte ihn, er liebte Wasser, immer schon, er war doch ein Schwimmer. Wie sollte er da ertrinken? Er fühlte sich im Wasser so sicher wie hier in seinem eigenen Haus.
Es lief doch gut.
Er zündete sich eine Zigarette an und sah zu, wie die Spitze in der Dunkelheit aufglühte; glühte und dann zwischen seinen Fingern blass und grau wurde, als die Glut erstarb. Wenn er einen Zug nahm, kehrte das Leuchten zurück und tauchte seine Hand in einen roten Schimmer. Das war der ganze Trick: Sorg dafür, dass die Glut bleibt, dass das Licht bleibt.
In der Küche füllte er am Hahn ein Glas Wasser und trank es mit langsamen Schlucken aus, spürte, wie die Flüssigkeit seine Kehle hinunterrann. Dann ging er zurück. Vor Joeys Tür blieb er stehen, drehte am Türknauf und trat ein. Der Junge schlief, das Bettzeug von sich geworfen, neben sich auf dem Kissen einen ramponierten Holzkreisel. Eng zusammengerollt, die Beine angezogen, als kauerte er auf dem Boden, ein bleicher Frosch, der im nächsten Moment davonspringen würde.
Pinkerton ging in sein Zimmer, legte sich leise ins Bett und streckte sich auf dem inzwischen abgekühlten Laken aus.
Von ihm weggedreht, den Kopf tief im Kissen vergraben, lag Nancy mit geschlossenen Augen da und hörte, wie sein Atem langsam schwerer wurde.
Kapitel 13
»MEIN GROSSVATER HAT mit seiner Familie auf Nantucket gelebt; er hat als junger Mann auf einem Walfänger gearbeitet, und das hier ist ein Zahn von einem Wal, einem Pottwal, und darauf ist ein Bild von Bäumen und Häusern eingeschnitzt.«
Der große, verzierte Walzahn wurde in der Klasse herumgereicht, wobei die Kinder sich viel weniger dafür interessierten als die Lehrerin, die einen recht zufriedenen Eindruck machte. »Der Großvater von Janet war einer von vielen Seeleuten, die solche wunderschönen Schnitzereien anfertigten. Man nennt solche Arbeiten auch scrimshaw .« Die Kreide quietschte, als sie das Wort in großen Buchstaben an die Tafel schrieb. » Scrimshaw . Wenn ihr wollt, könnt ihr euch das Wort merken. So, was haben wir noch?«
Ein rothaariges Mädchen hatte ein Fläschchen Öl mitgebracht. Sie erklärte, das Öl stamme von kleinen Fischen, die der Stamm der Cree ooligan nannte.
»Es war eine sehr wertvolle Medizin. Mein Vater sagt, der Name Oregon kommt daher. Daher hat unser Staat seinen Namen.«
»Das ist sehr interessant, Sandra. Es gibt natürlich viele verschiedene Erklärungen dafür, woher Oregon seinen Namen hat. Reisende haben die merkwürdigsten Geschichten über uns erzählt. Auf alten Karten wird Oregon manchmal Terra incognita genannt – das unbekannte Land …«
Die nächsten Kinder führten ihre mitgebrachten
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