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Madame Butterflys Schatten

Madame Butterflys Schatten

Titel: Madame Butterflys Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Langley
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die Hände an ihrer Schürze, rieb sich mit den Handflächen mehrmals über die Oberschenkel.
    »Ben?«
    »Ich finde, sie haben das alles nicht richtig durchdacht.«
    »Du gehst auch nach Washington.« Keine Frage.
    Er hielt inne. »Wie bitte?«
    »Du hast vor, nach Washington zu gehen.«
    »Wer sagt denn so was – habe ich so was gesagt? –, ich habe gesagt, dass sie verrückt sind, du hörst mir offenbar nicht zu.«
    »Ich höre dir zu, Ben, selbst wenn es nicht den Anschein hat. Warum willst du da mitmarschieren? Erstens bist du kein Veteran. Zweitens hast du genug eigene Probleme. Du hast Verpflichtungen. Drittens«, sie hielt inne. »Wolltest du etwas sagen?«
    Er fand nicht so schnell die richtigen Worte, grub danach wie ein Farmer, der sich durch lehmige Erde arbeitete. Sie kam ihm zuvor: »Wir brauchen dich hier, Joey und ich.«
    Bei Washington ging es um seinen Bruder, auch wenn Ben das nicht zugeben wollte.
    »Du machst dir Gedanken um die Veteranen? Du solltest an uns denken.«
    »Ich denke die ganz Zeit an euch. Das ist so, wenn man jemanden liebt.«
    So, als ginge es sie nichts an, bemerkte Nancy, dass er ihr gerade auf seine Art eine Liebeserklärung gemacht hatte. Das hatte sie schon lange nicht mehr von ihm gehört. Aber sie hatten sich so weit voneinander entfernt, dass das Signal zu schwach war, um sein Ziel zu erreichen. Sie blieb ungerührt.
    »Der Brief meiner Mutter …« Sie schien das Thema wechseln zu wollen. »Sie hat vorgeschlagen, dass Joey und ich eine Weile bei ihnen wohnen. Keine schlechte Idee, jetzt, da der Kindergarten kein Geld mehr hat, um mich weiterzubeschäftigen.«
    Sie wusste, was sie in Wahrheit damit sagte, und sie wusste, dass er es wusste.
    Er nickte bedächtig, als dächte er über ein kompliziertes Problem nach. Aber was er da gerade gehört hatte, war die Lösung. Das Problem war gelöst, die Worte hatten sich auf geheimnisvolle Weise einen Weg zu ihm gebahnt, die Situation, die nicht länger verborgen werden konnte.
    »Das ist wunderbar, Liebling. Ich würde dich ja fahren, aber die Sache ist die, ich habe den Laster nicht mehr.«
    »Ist er kaputt?«
    »Ich musste ihn abgeben. Zwangsvollstreckung.«
    Weil sie wusste, dass das Kind zuhörte, warf sie ihm nur einen bösen Blick zu. »Wir sprechen später darüber. Lasst uns essen. Joey, wasch dir die Hände.« Sie lächelte ihn strahlend an. »Morgen gibt es viel zu tun. Wir müssen packen. Wir besuchen Grandma und Gramps. Und dein Vater geht nach Washington.«
    Später saß sie müde und wütend auf dem Bettrand und stellte ihn flüsternd zur Rede.
    »Was ist passiert?«
    »Niemand braucht mehr einen Laster und einen Fahrer, Nance. Die Farmer verbrennen ihr Getreide, um es warm zu haben, niemand kauft mehr etwas.«
    »Warum zum Teufel hast du mir nichts davon gesagt? Ich hätte Dad fragen können –«
    »Ich kann deine Eltern nicht auch noch damit belasten, sie haben selbst schon genug Probleme. Ich werde einen Weg finden. Notfalls buddle ich eben Gräben.«
    »Es gibt keine Gräben zu buddeln, Ben. Wenn es welche gäbe, dann würden die Veteranen sie graben.«
    Ohne ihre Eltern würden sie nach Hooverville ziehen müssen.
    Welches andere Land, welches andere Leben war es gewesen, in dem sie eine Küche voller elektrischer Geräte gehabt hatte? In einem Haus mit zwei Stockwerken und einer Treppe, die vom einen zum nächsten geführt hatte, luftig und geräumig und mit hohen Decken. Sie erinnerte sich an die weichen Wollteppiche, die im ganzen Haus verteilt gelegen und so behaglich gerochen hatten wie das Fell eines Lamms. Durch die halb offene Tür konnte sie in das Zimmer nebenan sehen, die fleckigen Wände, die abgestoßenen, minderwertigen Möbel. Das Licht der Lampe ließ die Risse in dem billigen Bodenbelag erkennen.
    Sie hatte diese Wohnung gehasst, doch jetzt erschien sie ihr kostbar: ein warmes Plätzchen mit einem festen Dach, einem Sessel, in dem man sitzen und lesen konnte, einer Lampe, die die Seite beleuchtete. Sie dachte an die Hütten am Flussufer, die verbitterten Frauen mit ihren zerzausten Haarknoten, die barfüßigen Kinder, an Gesichter voller Schmutz und Hoffnungslosigkeit. Sie dachte an Joey.
    Ben sagte: »Ich suche uns etwas Besseres als das hier. Sobald ich aus Washington zurück bin. Es wird nicht lange dauern.«
    Er bedachte sie mit einem Lächeln, das sie früher hätte dahinschmelzen lassen. Er meinte es wirklich ernst. Sie blinzelte ein paarmal, um die Tränen zurückzudrängen. Sie

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