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Madame Butterflys Schatten

Madame Butterflys Schatten

Titel: Madame Butterflys Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Langley
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standen kurz davor, ihre letzte weltliche Habe zusammenzupacken; sie verloren das, was sie inzwischen als ihr Zuhause bezeichneten, und sie wurde von einer Mischung aus Trauer und Entsetzen überwältigt. Er nahm ihre Hand, aber sie lag schlaff in der seinen wie ein verletzter Vogel.

Kapitel 18
    BEREITS UM DIE dreihundert Mann hatten sich auf dem Viehsammelplatz des Bahnhofs von Portland eingefunden, als Ben dazustieß. Es war ein schöner Maienmorgen, die sommerliche Hitze von einer leichten Brise gemildert. Einige der Männer trugen ihre Arbeitskluft, andere hatten ihre alten Armeeuniformen angezogen – sie nannten sich nicht ganz ernst gemeint die »Veteranen-Bonus-Armee«. Nicht wenige hatten Orden an ihre zerknitterten Jacken geheftet.
    »Okay, hat irgendjemand hier Geld?« Spöttisches Gelächter. Hatte etwa einer vor, eine Fahrkarte zu kaufen?
    Sie kamen auf insgesamt dreißig Dollar, aber zu ihrer eigenen Überraschung lud Union Pacific sie in leere Viehwaggons und transportierte sie gen Osten. Die grimmig dreinblickenden Wachleute der Bahn mit ihren Schlagstöcken und Hunden ließen sich an diesem Tag nicht blicken.
    »Die wollen uns loshaben, raus aus dem Staat«, sagte Walt belustigt. »Die wollen keinen Ärger.«
    »Wir sind unerwünscht«, sagte Ben.
    »Na, mir soll’s recht sein. Sobald wir in Washington sind, rühren wir uns nicht mehr vom Fleck, bis der Bonus durch ist.« Er wandte sich an die Menge: »So, von jetzt an kein Betteln mehr, kein Alkohol. Und«, ein müdes Grinsen, »keine radikalen Parolen – sonst hält man uns noch für Kommunisten.«
    Im Rhythmus der Schienen hin und her schaukelnd, eng aneinandergedrängt, Schulter an Schulter mit Fremden, deren Schweiß, Mundgeruch und üble Fürze er einatmete, streckte Ben seine steifen Gliedmaßen und verlagerte vorsichtig sein Gewicht. Als er sich im Schneidersitz hinsetzte, fühlte er sich kurz an einen Augenblick seiner verdrängten Vergangenheit erinnert: er, mit gekreuzten Beinen auf einer glatten tatami- Matte sitzend, Cho-Chos kühle Hände, die zarte Süße ihres Körpers .
    Eine Welt, die unvorstellbar sauber und beruhigend erschien. Es gelang ihm, durch einen Spalt in der Waggonwand einen flüchtigen Blick auf eine in der Sonne leuchtende Landschaft zu werfen, die ganz nah und doch unerreichbar an ihm vorbeirauschte. Sein Mund war ausgetrocknet, seine Augen brannten. Fühlte sich das Vieh genauso? Hatten nur Menschen ein Bewusstsein? Solche Gedanken waren ihm noch nie gekommen und im Augenblick waren sie auch nicht gerade hilfreich. In jenem anderen Leben hatte Cho-Cho ihn gebadet, hatte zunächst die klebrigen Spuren ihrer Vereinigung abgewaschen und ihn dann ins Bad geführt, damit er in das dampfende Wasser stieg. Anschließend hatte sie ihm frische Kleider gereicht.
    »Schön?« Die immer gleiche Frage.
    Ja, ganz wunderschön, wie er sich jetzt wehmütig eingestand. Einen Moment sah er sich selbst wie durch ein Zeitteleskop, sah den strahlenden jungen Seemann in die Stadt stolzieren und sich ein bisschen Vergnügen kaufen, egal, wen oder was er in dieser zerbrechlichen Welt dabei kaputt machte. Er sah etwas Hässliches – und er schüttelte den Kopf, als wollte er eine Fliege verscheuchen, um diese schmerzhaften Gedanken zu vertreiben. Stattdessen rief er sich ein Bild von Nancy ins Gedächtnis, deren Körper vor den schlechten Zeiten auch einmal süß und glatt gewesen war, die auf niedliche Weise die Nase krauszog, wenn sie lächelte.
    Bei Nancy gab es kein »Komm her, dreh dich so oder so, heb den Hintern, mach fester«. Cho-Chos cremig weiße Haut hatte zum Grobsein geradezu herausgefordert. Nancys Schenkel waren sonnengebräunt, fest vom Tennis und vom Schwimmen, und er enthielt sich lieber irgendwelcher Anweisungen oder Experimente, wie sie sich oder ihm Vergnügen bereiten könne.
    Er zog eine Fotografie von Joey aus seiner Hosentasche. In einem der Lichtstreifen, die das Waggoninnere durchschnitten, studierte er das zaghafte Lächeln, die Neigung des Kopfes, den forschenden Blick. Er hätte sich mehr um den Jungen kümmern und mehr mit ihm unternehmen sollen; er kannte seinen eigenen Sohn ja kaum. Wenn diese Sache hier vorbei war, würde er dafür sorgen, dass sie mehr Zeit miteinander verbrachten.
    Es war ihm erstaunlich schwergefallen, ein letztes Mal die Tür zu ihrer Wohnung zu schließen. Es war ein Loch, aber es war ihr Loch. Oder war es vielmehr gewesen. Elektrisches Licht, ein Herd. Ein Bett. Nun hatte er wie

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