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Madame Butterflys Schatten

Madame Butterflys Schatten

Titel: Madame Butterflys Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Langley
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das Raster gefallen und ertranken in einem Meer von Hoffnungslosigkeit. In diesem Moment wurde ihr bewusst, dass keine Männer zu sehen waren, was ein bisschen unheimlich war zu einer Zeit, zu der sie im Grunde nirgendwo anders sein konnten.
    Ein Mädchen, das etwa im selben Alter wie Joey war, hockte neben einer Hütte zwischen den Dornbüschen und verrichtete seine Notdurft. Mit ausdruckslosem Gesicht sah sie zu ihnen herüber. Nancy nahm Joey am Arm und dirigierte ihn in die andere Richtung, dabei redete sie wie ein Wasserfall, um seine Aufmerksamkeit von dem Mädchen abzulenken.
    »Na, dann gibt es heute eben keine Heidelbeeren. Wir denken uns etwas anderes aus. Eine der Mütter aus dem Kindergarten hat mir von allen möglichen interessanten Gerichten erzählt, die sie ausprobiert. Sie hat zum Beispiel Brennnesselsuppe gemacht.«
    Joey zog nachdenklich die Nase kraus, eine Erinnerung war in ihm aufgestiegen, die er nicht ganz zu fassen bekam.
    »Brennnesseln sind gut. Ich habe schon einmal Brennnesseln gegessen.«
    Sie sah ihn überrascht an. »Wann denn?«
    »Ich erinnere mich nicht mehr.« Er fühlte sich plötzlich unbehaglich.
    Brennnesseln. Was kam als Nächstes?, fragte sich Nancy. Die Preise stiegen, die Farmer ernteten weniger. Vielleicht kämen irgendwann Eisvögel und Libellen auf den Speiseplan, und man würde Zikaden fangen und kochen. Alles, was essbar war.
    Ein Zitat von Ambrose Bierce fiel ihr ein, das sie auf dem College begeistert auswendig gelernt hatte. Bierce sagte, essbar bedeute, etwas sei »ersprießlich zu essen und förderlich zu verdauen, wie der Wurm für die Kröte, die Kröte für die Schlange, die Schlange für das Schwein, das Schwein für den Menschen und der Mensch für den Wurm«. Heute fand sie das nicht mehr so lustig.
    Die kleinen Kinder sangen gerne, und Nancy sang mit – sie liebte es, wenn die hohen Stimmchen die alten Kinderlieder krähten, begleitet vom Klatschen pummeliger Händchen –, aber es gab Tage, da fiel ihr das Singen schwer: Dann holte sie tief Luft und merkte, wie sie zu keuchen begann, plötzlich den Tränen nahe, mit anschwellender Lunge und zitternder Stimme. So als würde der Strom der Klänge die in ihr verborgene Traurigkeit hochschwemmen. Sie sehnte sich danach, sich davon zu befreien, sie wegzuspülen. Stattdessen schluckte sie, holte noch einmal Luft, schlug den Takt und nickte den Kindern aufmunternd zu.
    Sie wurde immer unglücklicher, das Unglück schloss sich wie eine zweite Haut um sie, aber sie bemühte sich nach Kräften, es zu verbergen, und da sie seit einiger Zeit das Lächeln nicht mehr gewohnt war, fiel es ihr leicht. Doch als sie eines Tages im Kindergarten einen lockenköpfigen Zweijährigen, der sich das Knie aufgeschlagen hatte, im Arm wiegte, brach sie zusammen; unter den erschreckten Blicken ihrer Kolleginnen drückte sie das Kind an ihre Brust und weinte bitterlich in sein weiches Haar.
    Sie versuchte, die Besorgnis der anderen zu zerstreuen, indem sie irgendwelche Erklärungen stammelte. Ihre Tage waren fällig. Ein paar schlaflose Nächte … Sie schickten sie nach Hause. »Ruhen Sie sich ein bisschen aus.«
    Sie rollte sich im Bett zusammen, umklammerte ein Kissen und lag reglos und schluchzend in dem leeren Zimmer. Joey war reif für sein Alter gewesen, als sie ihn als Dreijährigen zu sich genommen hatte; sie hatte die frühe, milchsüße Zeit verpasst, den kleinen Körper, der sich aus dem Geburtskanal in die Arme der Mutter schob, Tag für Tag die gleichen Anforderungen, den Mund, der nach der Brust suchte.
    Am nächsten Morgen war sie wieder so forsch wie eh und je, aber als sie an diesem Abend den wöchentlichen Brief an ihre Mutter schrieb, fielen Tränen auf das Blatt und ließen die Tinte verlaufen.

Kapitel 17
    AUF DER HEIMFAHRT spielte Ben die Szene im Kopf durch, versuchte, die richtigen Worte zu finden, übte seine Rede ein, feilte daran herum. Sollte er es langsam angehen, damit Nancy Gelegenheit hatte, es zu begreifen, oder sollte er mit der Tür ins Haus fallen? Sie redeten nicht mehr viel miteinander, und er war aus der Übung. Er sollte eine Münze werfen, letztlich gab es keine »richtige« Entscheidung. Auf einmal tat ihm jeder Knochen im Leib weh.
    Als er den Stadtrand erreicht hatte, war die Straße vor ihm in einer dichten Staubwolke verschwunden. Beim Näherkommen entpuppte sie sich als eine langsam vorwärtsmarschierende Menschenmenge: die Männer, Brüder und Väter der Frauen von Hooverville, eine

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