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Madame Butterflys Schatten

Madame Butterflys Schatten

Titel: Madame Butterflys Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Langley
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die Männer um ihn herum kein Dach mehr über dem Kopf. Nancys Eltern waren hilfsbereit, aber auch sie waren von den Ereignissen überrollt worden und in ein kleineres Haus in einer Gegend gezogen, in der die Mülltonnen überquollen und wo es, wie Mary mit einem traurigen Schulterzucken bemerkte, im Garten keine Schatten spendende Magnolie gab.
    Er musste Arbeit finden. Eine Stimme in seinem Kopf begann, ihm Worte zuzuflüstern … Wenn er bei der Marine geblieben wäre … Er verscheuchte sie. Er konnte diese Was-wäre-wenn-Gedanken nicht leiden. Irgendwo musste es einen Betrieb geben, in dem ein Mann mit seinen Fähigkeiten gebraucht wurde. Na ja: Fähigkeiten. Nancy war die Klügere von ihnen beiden. Er werde ein paar Bücher lesen müssen, sich vorbereiten, immer einen Schritt voraus sein, anständig aussehen, klinkenputzen gehen. Sobald er aus Washington zurück war.
    Um ihn herum fingen die Männer vereinzelt an zu singen, halb erinnerte Lieder, bis sie nach und nach in eines einfielen, das sie alle kannten, eines, das ein glücklicheres Land vor ihren Augen erstehen ließ – The Big Rock Candy Mountain , wo Polizisten immerzu lächeln und Hunde nie beißen … Jemand hatte ein Banjo dabei, und über das Rattern der Eisenräder hinweg hörte Ben das Klimpern und Zupfen der Saiten und die Stimmen, manche heiser, manche klar, die von einem Land sangen, in dem in dampfenden warmen Bächen große gedünstete Austern auf einem Sahnebett herumschwammen, wo man Sandwiches von dem alten Schinkenbaum pflückte und sich nach Lust und Laune an Tabak und Schnaps bedienen konnte. The Big Rock Candy Mountain, wo auf Eichen Kaffee wuchs und in den Flüssen Brandy floss. Ein Ort, an dem ein obdachloser Mann behaglich in einem weichen Bett schlafen konnte.
    Der Portland-Marsch kam langsam voran, sie bewegten sich von Bahnhof zu Bahnhof, erbettelten Mitfahrgelegenheiten in Güterwaggons und auf Lastern, wanderten über Landstraßen, kämpften sich querfeldein, trennten sich und trafen sich wieder. Ben mitten unter ihnen machte sich nützlich, besänftigte grimmige Bahnwächter, deren Hunde an ihren Leinen rissen.
    Das war neu für ihn; normalerweise zog er sich zurück. Die meiste Zeit war ihm alles scheißegal, hatte er Nancy gegenüber einmal zugegeben. Aber jetzt stellte er fest, dass die Zeit einen Menschen verändern kann. Er musste etwa zwölf Jahre gewesen sein, als ein Lehrer zu seiner Klasse gesagt hatte: »Mit dem Alter kommt die Weisheit.« Was für ein Blödsinn, hatte er damals gedacht. Mit dem Alter kamen graue Haare und wacklige Beine, ein krummer Rücken, schlechte Augen, hätte er am liebsten gesagt, aber Kinder widersprachen ihrem Lehrer nicht. In jener Zeit gehorchten Kinder und wurden beschützt, genau wie Haustiere. Jetzt lebten sie in der richtigen Welt.
    Ein paar Ehefrauen und Kinder waren mitgekommen, ihre Eltern waren sich vielleicht nicht ganz im Klaren über die bevorstehende Reise gewesen. Wenn Ben in eine Stadt vorausging, um Trinkwasser oder etwas zu essen oder einen Schlafplatz zu organisieren, sorgte er manchmal dafür, dass ein paar der Kleinen mitkamen. Ein groß gewachsener Mann mit dem Kreuz eines Arbeiters und sonnengebleichtem Haar, einem Lächeln auf dem Gesicht und aufrichtig dreinblickenden blauen Augen, der eine Schar Kinder anführte, stellte für die Einwohner einen beruhigenden Anblick dar. Ihnen war die Erleichterung anzumerken, dass wenigstens dieser eine nicht wie ein Kommunist aussah. Er hatte das Gefühl, die Dinge nahmen einen friedlichen Verlauf.
    Zehn Tage und dreitausend Kilometer später wurde er in East St. Louis eines Besseren belehrt: Der Zug lief ein, ein Strom heruntergekommen aussehender Leute quoll aus den Waggons. Hinter der Bahnstation säumten brave, gesetzestreue Bürger die Straße. Einige trugen selbstgemachte Plakate: »Wir wollen hier keine Kommunisten!«, »Haut ab, ihr bolschewistischen Aufrührer!«
    Walt murmelte: »Scheiße« und lief wie ein Hütehund um die Männer herum, hielt sie zusammen, schärfte ihnen ein, um Himmels willen bloß nicht wie Aufrührer auszusehen. Ben lächelte in einem fort. Beruhigend rief er den Leuten zu: »Keine Sorge, wir sind hier nur auf der Durchreise …«, kam aber nicht weiter. Schulter an Schulter trat eine Phalanx von Polizisten vor, um sie auf ihre Art willkommen zu heißen.
    »Ihr geht schön wieder dorthin zurück, wo ihr hergekommen seid, Freunde.« Schlagstöcke klopften auf schwielige Handflächen.
    Die

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