Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Madame Butterflys Schatten

Madame Butterflys Schatten

Titel: Madame Butterflys Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Langley
Vom Netzwerk:
untersagte. »Beweg dich, Kumpel. Hier wird nicht herumgelegen und geschlafen.«
    Ben las jedoch das Kleingedruckte und erklärte seinen Kameraden, dass es nicht verboten war, auf dem Grund herumzulaufen .
    In den nächsten drei glühend heißen Tagen und schwülen Julinächten schlurften sie die Pennsylvania Avenue in stillem Protest hinauf und hinunter. Ab und zu stolperte jemand, und ein oder zwei kippten um, aber die anderen hielten durch. Damit auch ja keiner heimlich ein Nickerchen auf dem Rasen hielt, lief ununterbrochen der Rasensprenger …
    Das heißt, wir haben jetzt richtige Duschen, die uns ein bisschen Kühlung verschaffen … Gott muss auf unserer Seite sein.
    In der Hüttensiedlung verbreitete sich eine ausgelassene Stimmung, Kinder spielten am Flussufer, an den Lagerfeuern erklangen Lieder.
    Am Abend des 27. Juli begann Ben im Licht der Laterne, die in der Tür der Hütte hing, einen neuen Brief. Heute Abend ist es ruhig, Nance. Ich bin voller Hoffnung.
    Er wischte seine verschwitzten Hände an einem Lumpen ab und versuchte, seine Gedanken auf dem zerknitterten Blatt in Worte zu verwandeln. Er wollte ihr so viel erzählen, von den Männern, deren Geschichten er hörte. Wie sie zu ihren Wunden gekommen waren, den Narben des Krieges und den unsichtbaren Verletzungen, die sie noch immer in schlechten Nächten laut aufschreien und zittern ließen … und dass er sich wie ein Entdecker gefühlt hatte, als er dreitausend Kilometer durch ein ihm weitgehend unbekanntes Land gefahren war. Es war mehr als diese eine Fahrt gewesen: Er hatte eine Reise zu sich selbst unternommen, hatte Zeit gehabt, in sich hineinzusehen, das erste Mal über Nancy und Joey nachzudenken, darüber, dass ihr Leben anders aussehen könnte. Aber all das schrieb er nicht nieder.
    Er spürte die Hitze der Laterne über seinem Kopf. Die Luft, die der Wind vom Fluss herüberwehte, war heiß wie aus einem Ofen. Der Stift bewegte sich über das feuchte Papier und schrieb, wie sehr er sie vermisste. Er bat sie, Joey für ihn zu drücken. Bald wäre er wieder zu Hause. Er notierte die Adresse auf den Umschlag und gab ihn einem der größeren Kinder, damit es ihn in den Briefkasten warf.
    Am nächsten Morgen scheiterte der Gesetzentwurf zur Zahlung des Bonus endgültig.
    Langsam schwand die Zuversicht. Die Männer fielen in sich zusammen, von ihrer Munterkeit war nichts mehr zu spüren. Walt wirkte plötzlich wie ein alter Mann.
    »Der Präsident will uns loswerden. Er schickt die Armee. MacArthur gibt jetzt die Befehle.«
    »Die Armee?« Ben glaubte sich verhört zu haben. »Gegen Veteranen? Das ist doch ein Witz.« Aber niemand lachte.
    MacArthurs Truppen blockierten die Straßen, es kam zu kleineren Scharmützeln, dem einen oder anderen Knochenbruch, und schon war die Stadtmitte von Washington wieder frei. Panzer verfolgten die Männer bis zum Flussufer. Hier entstand eine Pattsituation. Wie alle wussten, hatte der Präsident angeordnet, dass die Truppen nur bis zum Fluss vorrücken sollten – man gewann keine Stimmen, wenn man Veteranen aus ihren Hütten vertrieb. Auf der anderen Seite des Wassers waren sie sicher.
    Als die Sonne unterging, standen die Frauen an den Herden, und die Männer diskutierten den nächsten Schritt.
    Kurz vor Mitternacht verließ Ben, der nicht schlafen konnte, seine Hütte, um frische Luft zu schnappen. Er sah, wie eine Art Fackelzug rasch die Brücke überquerte, hörte Lärm und das Knirschen von Ketten. Dann erkannte er, worum es sich handelte: Truppen, Pferde, Panzer – eine Armee auf dem Vormarsch. Er fing an zu rufen, stieg in seine Stiefel, rannte zwischen den Hütten hin und her, um die Schlafenden zu wecken, stolperte über aufgeworfene Erde.
    MacArthur hatte den Anacostia-Fluss überquert. Wie ein Herrscher auf einem Eroberungsfeldzug schickte er seine Mannen los. Männer, Frauen und Kinder flohen voll Panik vor der Kavallerie, den blitzenden Säbeln, den auf sie niedersausenden Knüppeln, den spitzen Bajonetten, dem Tränengas, von dem sie sich übergeben mussten. In dem Durcheinander fielen Schüsse. Die Leute rannten kopflos und ziellos umher, als liefen sie vor einem Erdbeben davon, und zerstreuten sich in alle Richtungen, als die Truppen mit ihren kerosingetränkten Fackeln von Hütte zu Hütte zogen. Flammen fegten durch das Lager, flackerten in der Dunkelheit hoch auf und hüllten den Fluss in Rauchwolken. Als Ben einen Blick über die Schulter warf, sah er in der Ferne ein Bild: das Kapitol in

Weitere Kostenlose Bücher