Madame Butterflys Schatten
angenehmes Äußeres hatte: klein, dunkelhaarig und hellhäutig mit hohen Wangenknochen und schmalen Augen. Er war erheblich älter als Suzuki und daher welterfahrener als sie; das war gut. Als Amerikaner war er außerdem reich, während ihnen die Armut immer mehr zusetzte. Sie nahmen ihn in ihre Familie auf.
»Ihre Tochter bekommt eine traditionelle Hochzeit«, versicherte Cho-Cho Suzukis Eltern. »Sharpless-san wird es auch so wollen.« Überrumpelt von so viel unerwarteter Entschlossenheit, überließen es die Eltern zu ihrer eigenen Überraschung der jungen Frau, sich um die nötigen Vorbereitungen zu kümmern.
Cho-Cho hakte die Punkte auf ihrer Liste ab: Kamm, Sandalen, Schärpe … sie erinnerte sich, dass sie vor langer Zeit all diese Dinge schon einmal durchgegangen war, aber dieses Mal würde alles echt sein und nicht nur Beigabe für einen unerfüllbaren Traum. Dafür würde der Bräutigam sorgen.
Mit großer Sorgfalt widmete sie sich jedem Stück: Suzukis shiromuku , der Hochzeitskimono, musste aus schwerer Seide sein, das Weiß stand für Reinheit. Über der glatten zeremoniellen Perücke würde sie eine weiße Haube tragen. Sie legte die kleine Tasche, den Spiegel, den Fächer und das kaiken zurecht – als sie die Hand nach dem traditionellen Messer der Braut in seinem seidenen Futteral ausstreckte, hielt sie zögernd inne und berührte ihren Hals. Sie spürte den ängstlichen Blick Suzukis auf sich ruhen.
Sie hätte ihre Dienerin und Freundin gern beruhigt, aber schmerzliche Dinge blieben besser ungesagt. Und außerdem – sie legte eine Fingerspitze auf ihre Kehle – würde sie die Worte vermutlich sowieso nicht aussprechen können.
Die shinto -Zeremonie nahm den traditionellen würdevollen Verlauf mit dem Austausch der Ringe und Hochzeitsbecher. Der Priester vollzog die Trauung, das Brautpaar gelobte einander Treue und Gehorsam und legte im Tempel Zweige des heiligen sakaki -Baums als Opfergabe nieder. Henry trug den diesem Ereignis angemessenen Kimono, haori-hakama , und wirkte für seine Verhältnisse ungewöhnlich fröhlich. Erstaunt stellte Cho-Cho fest, dass seine Züge eine gewisse Vornehmheit zeigten, auch wenn es nur vorübergehend war.
Und sie stellte außerdem fest, dass Glück auch dem schlichtesten Gesicht Schönheit verlieh. Suzukis Augen leuchteten, und ihre Haut glühte im Abglanz ihrer Perlen – dem Hochzeitsgeschenk ihres Ehemannes.
Als Suzuki ihr erstes Kind zur Welt brachte, machte sich Henry nicht nur Sorgen um das Wohlergehen seiner Frau, die nach der schwierigen Geburt sehr schwach und erschöpft war, sondern auch um Cho-Chos Gemütszustand: Wie würde sie auf den neuen Erdenbürger reagieren? Wie so oft überraschte sie ihn und bot ohne viele Umschweife ihre Hilfe an.
»Das Restaurant läuft auch ohne mich, ich muss nicht die ganze Zeit dort sein.«
Dieses Mal war sie an der Reihe, sich um eine hilfsbedürftige Frau zu kümmern, ihr gut zuzureden, damit sie etwas aß, wieder zu Kräften kam. Vor einiger Zeit hatte ihre Dienerin ihr geholfen und sie am Leben gehalten, jetzt waren die Rollen vertauscht.
Mit Schale und Löffel in der Hand kniete Cho-Cho neben Suzuki. »Erinnerst du dich an den Vogel? Wie hungrig er deinen Reis hinuntergeschlungen hat?« Sie hielt den Löffel sanft an Suzukis Lippen. »Wie er die Körner aufgepickt hat?« Ein bisschen miso -Suppe mit natto fand den Weg in Suzukis Mund. »Und wie er dann auf die Türschwelle gekackt hat!« Verblüfft über die derbe Ausdrucksweise öffnete Suzuki den Mund, schluckte unfreiwillig einen weiteren Löffel Suppe und stimmte in Cho-Chos nostalgisches Lachen ein. Die Krise war überstanden.
Die zweite Geburt war leichter. Die dritte dann Routine. Schon bald versorgte Cho-Cho die Säuglinge genauso geschickt wie Suzuki. Einmal, als die beiden Frauen in vertrauter Harmonie die Kleinen badeten und fütterten, erklärte Cho-Cho, sie genieße alle Vorteile der Mutterschaft ohne die Qual der Verantwortung. »Ich werde zusehen, wie sie groß werden, mir genauso viele Sorgen um sie machen wie du, aber ohne die Angst, dass ich dieses oder jenes hätte anders machen sollen.« Mit Nachdruck fügte sie hinzu: »Ich werde sie lieben.« Im Stillen schwor sie sich, dass sie den Mädchen außerdem etwas über das Leben beibringen werde.
Nagasaki prosperierte: Es herrschte eine starke Nachfrage nach Seide, die Mitsubishi-Stahlwerke wurden erweitert und modernisiert. Die Zahl westlicher Besucher nahm stetig zu:
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