Madame Butterflys Schatten
Geschäftsleute, Käufer, Importeure, Exporteure kamen nach Nagasaki und fanden den Weg vom Kai in die Stadt, von den Fabrikhallen in die Sitzungssäle.
Die Ehefrauen hatten andere Bedürfnisse. Dank ein, zwei sanfter Anstöße von Henrys Seite betraute man Cho-Cho mit der Aufgabe, ihnen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Als erfolgreiche Restaurantbesitzerin war sie gesellschaftlich akzeptiert, ihre Vergangenheit ließ man einfach der Vergessenheit anheimfallen; die Welt veränderte sich, der moderne Lebensstil drängte zumindest nach außen hin die Tradition in den Hintergrund.
Sie war eine Frau, der diese Männer von Welt ihre Damen anvertrauen konnten, damit sie sie begleitete, wenn sie sich aus dem Schutz ihres Hotels herauswagten, und ihnen zeigte, wo sie die feinste Seide, die schönsten Lackschalen erstehen konnten. Eine Frau, die sie zu den Sehenswürdigkeiten führte – dem Glover-Garten zum Beispiel.
Sie ging mit ihnen über die gewundenen Wege, vorbei an den bunten Blumenbeeten, und blieb vor einer kleinen Statue stehen.
»Mr. Glovers Frau.«
Erstauntes Getuschel unter den Damen. Sie musterten die Statue und warfen zwischendurch verstohlene Blicke auf die Frau, die in Fleisch und Blut vor ihnen stand – Mr. Glover hatte eine Japanerin geheiratet! Cho-Chos Miene blieb unbewegt.
»Und jetzt besuchen wir einen Juwelier, der sehr schönen Cloisonné-Schmuck in Gold und Silber anfertigt.«
Sie dankte Henry für die Vermittlung. »Das war sehr freundlich von Ihnen.«
Er schüttelte den Kopf. »Das war eher eine List – so wie man sie im Westen anwendet, nicht in Japan.«
Sie sah ihn fragend an.
»Damit du deine Meinung über mich änderst und mich vielleicht irgendwann nicht mehr hasst.«
»Ich hasse Sie nicht, Sharpless-san. Sie haben einen bestimmten Platz im Leben, und ich habe gelernt, mich mit dem meinen abzufinden.«
»Ich hatte gehofft, du würdest mich als Freund betrachten.«
Sie lächelte nur stumm. Da nahm er all seinen Mut zusammen und fragte, ob sie ihn nicht mit Vornamen ansprechen wolle.
Sie probierte es vorsichtig aus: »Henn-lee.« Sie runzelte die Stirn. »Dieser Name ist nicht leicht auszusprechen.« Ein Nicken. »Aber ich werde mir Mühe geben.«
Später dachte Henry über das Gesetz der unbeabsichtigten Folgen nach: Wenn er Cho-Cho das Päckchen nicht gegeben hätte … wenn sie die Zeitschriften, die es enthielt, nicht gelesen hätte … Aber er hatte es getan, und sie hatte sie gelesen, und die Dinge hatten ihren Lauf genommen.
Mit einer Verbeugung nahm sie das hübsch verpackte Päckchen entgegen.
»Nur ein paar Zeitschriften und ein Buch, das dich interessieren könnte«, murmelte Henry.
Sie blätterte darin. »Ah, die Welt draußen! Um mich von meinem öden Leben abzulenken?«
Sie zog ihn auf, aber sie nahm das Geschenk an, und als Henry sie das nächste Mal besuchte, hatte die Welt draußen den Weg in ihr abgeschiedenes Leben gefunden.
Gleich nach der Begrüßung überfiel sie ihn mit Fragen.
»Hast du schon einmal etwas von Ichikawa Fusae gehört?«
»Ja.«
»Warum hast du mir nie etwas von ihr erzählt, von dem, was passiert ist?«
»Ich bitte um Entschuldigung. Mir war nicht klar, dass du dich für den Kampf um das Frauenwahlrecht interessierst.«
»Ich bin eine Frau.« Trauriges Kopfschütteln. »Weißt du, was das bedeutet? Was es wirklich bedeutet?«
Henry fühlte sich plötzlich unbehaglich. »Diese Frauen sind mutig, aber möglicherweise übertreiben sie es damit ein bisschen.« Unausgesprochen: Ihre Aktionen könnten sich als gefährlich erweisen – für sie selbst und für alle anderen Beteiligten. »Ein unerfahrener Schwimmer sollte sich dem Meer mit Vorsicht nähern. Die hohen Wellen, starke Strömungen …«
Sie unterbrach ihn. »Erinnerst du dich an den Tag, an dem du mit Pinkerton hierhergekommen bist? Du warst hier, um die Übergabe eines Objekts zu bezeugen, einer Ware von einem Mann an einen anderen. Frauen hatten keine Stimme, wir haben noch immer keine Stimme. Und nun lese ich von einer Frau – von Frauen –, die versuchen, etwas dagegen zu tun.
Es erfüllt mich mit Scham, dass ich nichts von den schrecklichen Bedingungen in der Fabrik wusste, bevor Suzuki dort zu arbeiten anfing, von den langen Arbeitsstunden, den überfüllten Schlafsälen. Diese Frauen sind Gefangene.
Und wenn sie nicht arbeiten, sind sie Gefangene in ihrem Haus, wie sie es schon immer gewesen sind. Weißt du, warum Frauen nicht wählen dürfen? Weil es schon
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