Madame de Maintenon
Brief hinzu. »Ich fragte ihn, ob er die katholische Religion aufgibt und dadurch dem Prinzen von Oranien, einem Beschützer der Protestanten, sich zu entfalten erlaubt, und dann senkte ich meinen Blick …«
Da nun zwei königliche Häuser zu berücksichtigen waren, die jeweils ein anderes Protokoll gewohnt waren, gab es einiges Hin und Her über den Vorrang. König Jakob wurde förmlich dem Dauphin und der Dauphine vorgestellt, danach Ludwigs Bruder Monsieur und Liselotte, nicht aber der einfachen dame d'atour Françoise. Problematisch wurde es bei der Regelung der Frage, wer in welcher Reihenfolge der Königin Maria vorzustellen sei, wobei über die üblichen Ansprüche auf einen Sessel und Knickse heftig und ausgiebig debattiert wurde, sogar ganze vier Tage lang, woraufhin sich die Töchter und Nichten Ludwigs bereit erklärten, auf Ihre Majestät zu warten. Françoise wurde, da sie weder Prinzessin noch Herzogin war, erneut übersehen.
Selbst am neuerdings so frommen französischen Hof wurde Maria rasch für zu fromm erklärt, wegen ihrer penibel einzuhaltenden Andachten nach italienischer Art – »eine endlose Zahl kleinlicher Übungen, die überall nutzlos und in England gewiß besonders deplaziert sind«, so die kluge Beobachtung der achtzehnjährigen Marthe-Marguerite, die noch immer im Exil in Saint-Germain war, das sich mit der Ankunft des englischen Paares ganz plötzlich aus einem trostlosen königlichen Außenposten in das Zentrum des gesamten höfischen Interesses verwandelt hatte. Man empfand Maria generell als hochmütig und übertrieben fromm, »aber sie war intelligent
788 und hatte wirklich gute Eigenschaften, und das zog Madame de Maintenon zu ihr hin …«
Liselotte gehörte ebenfalls zu den Bewunderern der schönen dreißigjährigen Maria, wohl um so mehr, als auch Ludwig eindeutig einer von ihnen war, was die dreiundfünfzigjährige Françoise gelegentlich gereizt zu haben scheint. »Man konnte sagen
789 , daß sie alle königlichen Tugenden besaß«, schrieb Liselotte in späteren Jahren über Maria. »Ihr einziger Fehler war (niemand ist vollkommen), daß sie es mit ihrer Frömmigkeit zu weit getrieben hatte, aber dafür mußte sie teuer bezahlen, denn es war die Ursache ihres ganzen Unglücks.«
Jakob selbst löste nicht so sehr Bewunderung als vielmehr Mitgefühl und sogar Belustigung aus. Er war ein Anhänger des Absolutismus, was Ludwig natürlich schätzte, und ein ungemein kühner Jäger, was auch den Dauphin erfreute. »Er zog hinaus zur Jagd
790 , kühn, wie ein Mann von zwanzig, gänzlich unbekümmert«, sagte Madame de La Fayette. Und zum Erstaunen des ungebildeten Ludwig wußte Jakob den königlichen Astronomen am berühmten Pariser Observatorium, dem ersten der Welt, kundige Fragen zu stellen. »Die geistige Beschränkung
791 ist dem König angeboren«, so das kühle Urteil des Diplomaten Spanheim über Ludwig. Doch in den salons und appartements machte Jakob einen eher zweideutigen Eindruck, weil er sich in seinem unkontrollierbaren Gestammel, das im Englischen ebenso unvorteilhaft wirkte wie in seinem »sehr dürftigen« Französisch, unablässig über Englands Treulosigkeit beklagte. »Er hatte das Siegel des Königreichs [zur Beglaubigung königlicher Dokumente] ins Meer geworfen«, fuhr Madame fort, »und wir haben herzlich darüber gelacht, obwohl es wegen ihrer Gesetze dort für einige Probleme sorgte … Der Erzbischof von Reims, ein Bruder von Monsieur Louvois, spottete beim Verlassen der Kirche über ihn: Ein toller Kerl, sagte er. Einer Messe wegen drei Königreiche aufzugeben. Sehr hübsche Worte aus dem Munde eines Erzbischofs!«
»Je mehr man
792 diesen König sieht und von dem Prinzen
von Oranien reden höret, je mehr exkusiert man den Prinzen und sieht man, daß er estimabel ist«, folgerte Liselotte.
Obwohl die Bewohner der drei verlorenen Königreiche, einschließlich »fast aller Granden
793 «, überwiegend zu demselben Schluß gelangt waren, hatten Jakob und Maria keineswegs die Hoffnung aufgegeben, den Thron wiederzugewinnen, und sie bereiteten ihren französischen Freunden mit ihren offenkundigen politischen Indiskretionen ständig Verdruß. »Wirklich jeder Plan
794 für ihre Wiedereinsetzung war in England bekannt, sobald er in Versailles ersonnen war«, sagte Marthe-Marguerite, die Jakob unterstützte und nach eigenem Geständnis »Jakobitin« war, »aber sie selbst waren eigentlich nicht schuld daran. Sie waren von Leuten umgeben, die sie
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