Madame Hemingway - Roman
obenauf und war von so vielen interessanten Leuten umgeben. Er traf sich mit Robert Benchley, Dorothy Parker und Elinor Wylie, und alles war so gut, wie es nur sein konnte. Warum sollte er es eilig haben zurückzukommen?
Unterdessen war das Wetter in Schruns ruhiger geworden. Wir hatten einen Meter Neuschnee, und damit mich das Warten nicht wahnsinnig machte, fuhr ich jeden Tag so lange Ski und ging wandern, bis sich meine Beine stärker als je zuvor anfühlten und meine Lungen kaum noch von der Höhe brannten. Hoch über der Stadt konnte ich auf das Hotel hinunterblicken, das wie eine Miniatur aussah. Aus dieser Entfernung passte es in eine meiner Handflächen und wirkte zugleich solide und verlässlich. Von all den Orten, an denen ich mit Ernest gewesen war, hatte ich mich hier immer am sichersten und stärksten gefühlt. Wenn ich Wochen der Unsicherheit durchstehen musste, dann war ich froh, dass es hier geschah.Ernest blieb insgesamt drei Wochen in New York und verbrachte dann weitere zehn Tage auf See. Anfang März legte sein Schiff in Le Havre an, doch er kam nicht auf direktem Wege zurück nach Schruns. Er wollte erst seine Freunde in Paris treffen. Er verbrachte noch ein sehr angenehmes Mittagessen mit Scott und Zelda, bevor die beiden in Richtung Nizza aufbrachen. Er traf Gerald und Sara Murphy, die MacLeishs und natürlich auch Pauline. Er kümmerte sich um unsere Bankgeschäfte und sah nach unserer Wohnung, und so vergingen die Tage. Irgendwann konnten Bumby und ich ihn dann endlich am Bahnhof abholen, an einem Tag, an dem die Sonne immer wieder strahlend hinter den Wolken hervorbrach.
»Sieh dich nur an, Frau«, rief er, als er uns auf dem Bahnsteig traf. »Du bist so hübsch und gebräunt und entzückend.«
Ich lächelte und gab ihm einen Kuss.
»Und schau dir nur diese Murmeltierbäckchen an, Mr. Bumby«, sagte er. »Ich muss schon sagen, ich habe die schönste Familie von allen. Was bin ich nur für ein Glückspilz.«
Während des Abendessens erzählte er haufenweise aufregende Geschichten aus New York. Erst als wir im Bett lagen, berichtete ich ihm von meinem Konzert in der Salle Pleyel, und er war beinahe so aufgeregt wie ich selbst.
»Das habe ich mir immer für dich gewünscht, Tatie. Dass du Musik in deinem Leben hast, genau wie damals zu Hause. Dass es wieder genauso viel bedeutet.« Er fuhr mir mit der Hand durchs Haar, das wild gewachsen und im Sonnenschein ganz hell geworden war. »Ich wusste nicht, wie sehr ich dich vermisst habe, bis ich dich heute wiedergesehen habe.«
»Wirklich nicht?«
»Nach Hause zu kommen erinnert einen immer an das, was man hat.«
»Ich habe dich die ganze Zeit über vermisst.«
»Das ist auch schön. Alles ist schön.«
Ich küsste ihn und legte mich dann zurück in die Federdecken und sah ihm beim Einschlafen zu. Er entspannte sich völlig, und kein einziges Fältchen war um seine Augen zu sehen, kein Anzeichen von Müdigkeit. Wenn er gut schlief, war er wie ein kleiner Junge. Ich konnte unter dem Mann das Kind erkennen, das er einst gewesen war, und ich liebte sie beide, ganz und gar und unabänderlich. Ich kuschelte mich unter seinen Arm, fühlte seinen Atem ein- und ausströmen und schlief ein.
Im März brachen die Lawinen verheerend über Schruns herein. Das erste Unglück geschah, als Herr Lent eine Gruppe Deutscher auf den Berg führte. In der letzten Zeit hatte so oft die Sonne geschienen, dass die Unternehmung gefährlich war, doch obwohl Herr Lent den Deutschen vom Kommen abgeraten hatte, waren sie erschienen und bestanden nun darauf, Ski fahren zu gehen, mit oder ohne seine Führung. Er brachte sie also zu der stabilsten Piste, die er kannte, und fuhr sie zunächst einmal selbst ab, um ganz sicher zu gehen. Dann folgte ihm die ganze Gruppe, und als alle dreizehn mitten auf der Piste waren, kollabierte plötzlich der Berg. Der Abhang stürzte vernichtend über sie hinweg und begrub jeden Einzelnen von ihnen. Als die Bergungsmannschaft sie schließlich aus dem Schnee grub, waren neun schon tot.
Lent und seine hübsche Assistentin Fräulein Glaser besuchten uns eines Abends in der »Taube«, und so hörten wir die Geschichte aus erster Hand.
»Ein Mann wurde von schwerem, altem Schnee begraben, der besonders feucht und tief ist«, berichtete Lent. »Wir fanden ihn erst nach zwei Tagen. Die Retter haben gegraben und gegraben, und schließlich fanden sie ihn, weil die Spur seines Blutes sie zu ihm führte. Er hatte sich bei dem Versuch, an
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