Madame Hemingway - Roman
abzulegen.
»Du liebst Pauline.« Ich zwang mich, ihm bei diesen Worten in die Augen zu blicken.
Seine Schultern zogen sich zusammen und sanken dann wieder hinunter. Er ballte die Hände zu Fäusten und öffnete sie wieder, sagte aber kein Wort.
»Nun?«
»Nun was? Ich kann dir darauf keine Antwort geben. Ich werde es nicht tun.«
»Warum nicht, wenn es doch wahr ist?« Mein Atem war flach, und es fiel mir immer schwerer, ihm fest ins Gesicht zu sehen und so zu tun, als hätte ich irgendetwas unter Kontrolle.
»Wen interessiert schon, was die Wahrheit ist? Manche Dinge sollte man einfach nicht aussprechen.«
»Was ist mit den Dingen, die man nicht tun sollte?«
Meine Stimme klang schrill und kippte leicht. »Was ist mit den Versprechen, die du gegeben hast?«
»Weißt du, mir Schuldgefühle machen zu wollen hilft dir auch nicht weiter. Wenn du glaubst, du kannst bewirken, dass ich mich noch elender fühle, als ich mich sowieso schon fühle, musst du dir etwas mehr Mühe geben.«
»Fahr zur Hölle.«
»Ja, nun, ich schätze mal, das werde ich wohl.« Ich sah ihn entgeistert mit geöffnetem Mund an und musste dabei aussehen wie eine Idiotin. Er schnappte sich seinen Mantel und Hut und stürmte hinaus in den Regen.
Ich war fassungslos. Auf der gesamten Fahrt nach Paris hatte ich darüber nachgedacht, was ich zu Ernest sagen könnte, um ihn aus der Reserve zu locken und dazu zu bringen, mir offen zu sagen, was los war. Wenn es etwas Schreckliches gab, das ich wissen musste, dann wollte ich es ohne Umschweife oder Ausflüchte erfahren. Aber was sollte ich bloß
damit
anfangen? Mit seinem Schweigen bestätigte er im Grunde, dass er sie liebte, doch irgendwie hatte er es geschafft, den Spieß umzudrehen, so dass nun die Affäre selbst nur halb so schlimm war wie meine Geschmacklosigkeit, sie anzusprechen.
Als Marie Cocotte mit Bumby die Wohnung betrat, weinte ich so sehr, dass sie beide bei meinem Anblick erschraken. Marie blieb und half mir, das Baby zu füttern und ins Bett zu bringen, da ich es ganz offensichtlich nicht allein zustande brachte. Bevor sie ging, fragte sie mich: »Bitte, Madame, gibt es irgendetwas, das ich tun kann?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Versuchen Sie, nicht so traurig zu sein, ja?«
»Ich werde es versuchen.«
Draußen fiel unaufhörlich grauer Regen vom Himmel. Wohin war der Frühling verschwunden? Als ich ins Loire-Tal aufgebrochen war, waren schon Blätter an den Bäumen gewesen, und die Blumen hatten gerade angefangen zu blühen, doch nun war alles durchnässt und ertränkt. Es war ein falscher Frühling gewesen, nur eine von vielen Lügen, und ich fragte mich, ob er je wirklich erscheinen würde.
Ernest kam erst spät nach Mitternacht betrunken nach Hause. Ich war noch wach und hatte ein Wechselbad der Gefühle hinter mir.
»Ich will dich nicht in der Wohnung haben«, sagte ich, als er sich aufs Bett setzte, um sich die Schuhe auszuziehen. »Geh zu deiner Geliebten, wenn es das ist, was du willst.«
»Sie ist auf dem Weg nach Bologna«, erklärte er. »Und woher meinst du zu wissen, was ich will?«
Ich setzte mich rasch auf und schlug ihm einmal so fest ich konnte ins Gesicht, dann noch einmal.
Er zuckte kaum mit der Wimper. »Spiel das Opfer, wenn du willst, aber hier ist keiner ein Opfer. Du hättest deinen verdammten Mund halten sollen. Jetzt ist alles verdorben.«
»Willst du damit sagen, du hättest kein Problem damit gehabt, einfach so weiterzumachen, sie zu lieben und kein Wort darüber zu verlieren?«
»So etwas in der Art«, bestätigte er.
»Das kann ich dir nicht glauben«, sagte ich und begann zu weinen. »Ich kann das alles einfach nicht glauben.«
In diesem Augenblick erwachte das Baby im Nebenraum und fing an zu wimmern.
»Na prima«, sagte er und starrte die Wand an. »Jetzt heult er auch noch.« Er ging in die Küche, und als ich ihm kurz darauf in meinem Morgenmantel folgte, um nach Bumby zu sehen, hatte er sich schon einen Whisky eingeschenkt und langte nach der Sodaflasche.
Ernest kam in dieser Nacht nicht ins Bett, und als ich morgens aufstand, um Frühstück zu machen, hatte er die Wohnung bereits verlassen. Spät am Nachmittag kehrte er zurück, und als er seinen Mantel auszog und sein Notizbuch sowie ein paar Bleistifte aus der Tasche holte, war ich überrascht, sie gerade an diesem Tag zu sehen.
»Du hast heute gearbeitet?«
»Wie der Teufel«, antwortete er. »Ich habe den Entwurf für eine neue Story fertig. Ich habe ihn
Weitere Kostenlose Bücher