Madame Hemingway - Roman
wunderbareinrichten, denn damit kannte sie sich aus – wo man die besten Möbel kaufte, wie man Bilder richtig rahmen ließ und welche Freundschaften man pflegte. Womöglich konnte sie sich besser um ihn kümmern, als ich es je vermocht hatte. Oder vielleicht auch nicht.
Am Ende hatte Ernest in der Liebe nicht so viel Glück wie ich. Er bekam zwei weitere Söhne mit Pauline, und dann verließ er sie für eine andere. Und verließ diese dann auch wieder für eine andere. Insgesamt hatte er vier Ehefrauen und einige Geliebte. Die Vorstellung war schmerzhaft, dass ich für all die, die sein Leben mit Interesse verfolgten, nur die erste Ehefrau war, die Pariser Ehefrau. Aber das war wohl nur Eitelkeit und der Wunsch, aus der langen Reihe von Frauen irgendwie hervorzustechen. In Wirklichkeit war es egal, was andere sahen. Wir wussten, was wir hatten und was es bedeutete, und auch wenn danach für uns beide noch so vieles passierte, war nichts davon mit den Jahren nach dem Krieg in Paris zu vergleichen. Das Leben war damals so unendlich rein und einfach und gut, und ich glaube, dass Ernest in jener Zeit seine besten Seiten zeigte. Ich habe das Beste von ihm bekommen. Wir beide haben das Beste voneinander bekommen.
Nach seiner Abreise in die Staaten sah ich ihn nur noch zweimal in meinem äußerst langen Leben, aber ich verfolgte aus der Ferne, wie er rasch zum bedeutendsten Schriftsteller seiner Generation und auch zu einer Art Held wurde. Ich sah ihn auf dem Cover des
Life Magazine
und hörte von seiner mutigen Kriegsberichterstattung und den anderen großen Leistungen – er angelte auf Weltklasseniveau, ging in Afrika auf Großwildjagd und trank genug für zwei Männer seiner Größe. Er erschuf einen Mythos aus seinem eigenen Leben, der stetig weiterwuchs – doch ich wusste, dass er unter alldem immer noch verloren war. Dass er nur bei Licht schlief oder gar nicht schlafen konnte und dass er den Tod so sehr fürchtete, dass erbei jeder Gelegenheit seine Nähe suchte. Er war wirklich ein Rätsel – gut und stark und schwach und grausam. Ein unvergleichlicher Freund und ein wahrer Mistkerl. Am Ende war nicht eine Sache an ihm wahrer als der Rest. Es war alles wahr.
Wir sprachen uns im Mai 1961 zum letzten Mal. Er rief völlig unerwartet zur Essenszeit an einem kühlen Nachmittag an, als Paul und ich in Arizona auf einer Ranch waren, auf der wir alle paar Jahre Urlaub machten, weil man hier gut angeln konnte und die Aussicht phantastisch war. Ich nahm das Gespräch an, während Paul sich unter einem Vorwand entschuldigte, da er wusste, dass es wichtig für mich war. Ich musste ihn nicht darum bitten. Wir waren seit fünfunddreißig Jahren verheiratet, und Paul kannte mich besser als jeder andere Mensch. Fast.
»Hallo, Tatie«, sagte Ernest, als ich den Hörer abhob.
»Hallo, Tatie«, antwortete ich und musste lächeln, als ich unseren vierzig Jahre alten Spitznamen wieder hörte.
»Eure Haushälterin hat mir gesagt, wo ich euch finde. Ich hoffe, das macht dir nichts aus.«
»Nein, ich bin froh, dass du anrufst. Ich bin froh, dass du es bist.«
Ich erzählte ihm kurz von der Ranch, auf der Paul und ich waren, da ich wusste, dass sie ihm gefallen würde. Sie war nicht etepetete oder allzu komfortabel. In der Hütte waren dunkle, seidige Flecken auf der Holzvertäfelung, die von achtzig Jahren ordentlichen Kaminfeuers herrührten, und alle Möbel waren schlicht und robust und fühlten sich echt unter einem an. Die Tage waren lang und offen. Die Nächte voller Sterne.
Ich hatte seit Ewigkeiten nichts mehr von ihm gehört, und nun rief er an, um über ein neues Buch mit Erinnerungen zu sprechen. Er wollte Geschichten über unsere Zeit in Paris veröffentlichen.
»Kannst du dich an die Huren auf dem
bal musette
und die Akkordeonmusik und den Rauch und den Gestank erinnern?«, wollter er wissen.
Ich sagte, dass ich das konnte.
»Erinnerst du dich auch noch an den französischen Nationalfeiertag, als die Musikanten unter unserem Fenster nächtelang gespielt haben?«
»Ich weiß das alles noch.«
»Du tauchst überall in dem Buch auf«, sagte er, und seine Stimme senkte sich. Er gab sich große Mühe, fröhlich zu bleiben, doch ich wusste, dass er traurig und niedergeschlagen war. »Das war schon etwas, über diese Zeit zu schreiben und alles noch einmal zu durchleben. Sag mir, denkst du, wir wollten zu viel voneinander?«
»Oh, ich weiß es nicht, Tatie. Das ist möglich.«
»Vielleicht ist es das. Wir
Weitere Kostenlose Bücher